Summertime Blues

Der Sommer dreht auf. Noch mal. Jedenfalls von nine to five. Davor und danach ist es kühler, und Wind rauscht durch Pappeln, und wenn ich den Kopf neige und aus einem schrägen Winkel schaue, sieht es so aus, als verfärbte sich schon mal ein Blatt hier, und da fällt eins ab.
Meine Frau Judith dreht sich noch mal um und beschließt, das Wachwerden zu verschlafen. Die Hündin glotzt von ihrem Kissen runter. Sollte sie etwas denken, dann kaut sie auf der Frage rum, wann sie endlich in den Hof kann. Und oben beim Töchterchen ist noch kein Laut zu hören.
Noch träumen Wald und Wiesen
Es ist Zwischenzeit. Das eine hat noch nicht angefangen, und das andere ist noch nicht zu Ende. Wenn ein Dichter das beschriebe, ein echter wie Eduard Mörike, dann klingt das so wie sein „Septembermorgen“:
„Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.“
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Die einen sagen Biedermeier dazu, die anderen finden es einfach schön, ich zähle zu den anderen. Der Eduard ist nicht zu verachten, weil er a) wie Judith von der Schwäbischen Alb stammt und b) seine theologische Prüfung zum Pfarrer mit der Beurteilung abschloss: „ziemlich mangelhaftes, dennoch keineswegs zu verachtendes Wissen“. Ich übersetze das mit: Ein bisschen besser als nichts, was schon brutal viel ist. Der tapfere Eduard könnte unser Wappentier sein.
Wenn die Nadel auf der Platte knistert, die Musik aber noch schweigt
Zwischenzeit ist, wenn der Zwiebelrostbraten duftet, aber noch nicht auf dem Tisch steht. Wenn das Licht aus, der Vorhang aber noch nicht oben ist. Wenn die Türen schon geschlossen, der Zug aber noch nicht losgefahren ist. Wenn die Nadel auf der Platte knistert, die Musik aber noch schweigt. Wenn du in der Umkleidekabine steckst.
Zwischenzeit ist unrasiert, Zwischenzeit ist nach dem Kuss und vor dem Bett. Es ist, wenn du in der Verlängerung null zu eins hinten liegst. Zwischenzeit ist vor dem großen Knall, es ist, bevor du untergehst, und wenn du schon den Himmel siehst, bevor du wiederauftauchst. Zwischenzeit ist das kurze Nichts zwischen dem langen Sein. Sie ist genau dann vorbei, wenn du sie bemerkst.
Der Wind hat sich gelegt, die Sonne wärmt, Judith steht auf, das Töchterchen kräht, und die Hündin macht gleich aufs geölte Parkett. Schön warst du, meine Zwischenzeit, denke ich, und lasse den Köter in den Hof.
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Kommentare
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