Direkt zum Inhalt
Kolumne „Der Philosoph“

Simulierte Kreativität: Die KI-Falle

Wie wäre es, wenn all die lästigen Arbeiten, mit denen der Mensch sich plagt – vom Putzen über Lieferfahrten bis hin zur Bandarbeit – bald von Maschinen übernommen werden könnten? Noch vor wenigen Jahren schien ein solches Szenario dank Künstlicher Intelligenz (KI) zum Greifen nah. Dabei existierten mächtige KI-Assistenten wie ChatGPT oder Grok damals noch gar nicht. Heute gehört ihre Nutzung für viele schon zum Alltag – jedoch ohne die erhofften Früchte. Immer noch schuften zahllose Menschen in Lagerhäusern, fahren Fastfood durch die Gegend oder moppen sich durch Wohnhäuser.

Der wahre Siegeszug von KI scheint sich dagegen gerade auf jenen Gebieten zu vollziehen, die wir als genuin menschlich ansehen und daher eigentlich nicht an die Maschinen delegieren wollten: Wer mit DeepL oder Grok schon mal einen Text hat übersetzen lassen, dem dürfte mit Blick auf einen Großteil der professionellen Übersetzer angst und bange werden. Zugegeben, literarische oder poetische Übersetzung wird man den Programmen noch (!) nicht zutrauen. Für fast alle anderen Texte gilt aber schon jetzt: So gut wie ein mittelmäßiger Übersetzer kann es die KI allemal. Hochschullehrer können außerdem ein Lied davon singen, was es heißt, Hausarbeiten in Zeiten mächtiger KI-Assistenten zu lesen: Man merkt den Betrug meist recht schnell, aber nur weil die KI besser ist als der durchschnittliche Student.

KI ist multifunktional

Die Wunderwerke der KI beschränken sich nicht auf Texte. Auch bei Bildern und Musik leistet sie Erstaunliches. Ein Foto in eine Zeichnung im Stil des japanischen Kult-Animationsstudios Studio Ghibli verwandeln lassen? Oder einen anderen typischen Comic-Look generieren? Mit KI kein Problem. Und wer sich ein wenig bei der Musik-KI-App Suno AI umhört, wird sich zuweilen schwertun, den Unterschied zu jenen menschengemachten Liedchen herauszuhören, die sich in den Charts tummeln.

Ein kritischer Geist wird nun einwenden wollen: Das alles – von den Texten über die Bilder bis hin zur Musik – ist doch alles nur seelenlose Massenware und kann niemals echte Kunst sein! Diese Einschätzung scheint mir vollkommen richtig zu sein, doch tut sie der Tatsache keinen Abbruch, dass sehr viele Menschen offenbar mit seelenloser, computergenerierter Massenware zufrieden sind.

Daran ändert auch nichts, dass schon das Wort „Künstliche Intelligenz“ ein Etikettenschwindel ist, weil diese Programme in Wahrheit natürlich nicht denken können. KI-Textprogramme basieren auf statistischen Vorhersagen, die die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass ein Wort oder eine Wortfolge in einem gegebenen Kontext folgt, wobei sie komplexe semantische und syntaktische Zusammenhänge aus großen Textdatensätzen nutzen. Das hat mit Denken in logischen Zusammenhängen, mit Reflexion, mit Vorstellungskraft und Imagination nichts Wesentliches zu tun.

> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge

Kunst ist ein Geschenk

Etwas ganz Ähnliches gilt auch in Sachen Kreativität. Dass sich KI-generierte Bilder und Videos auch gewitzt und geistreich einsetzen lassen, zeigt etwa der Satire-Künstler „Snicklink“. KI kann also auch ein künstlerisches Werkzeug sein – so wie es Pinsel, Farbe und Leinwand für einen Maler waren und sind. Für Kunst im anspruchsvollen Sinne aber bedarf es menschlicher Kreativität und Inspiration. Diese kann der Mensch auch nicht einfach erzeugen. Die richtige Idee muss sich stattdessen ergeben, sich einstellen; erzwingen lässt sie sich nicht. Somit liegt jeder wahren Kunst ein Gnadenakt zugrunde: Der begnadete Künstler bekommt aus einer höheren Sphäre etwas geschenkt, in dessen Dienst er sich dann stellen kann.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. 

Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Zur Belustigung, Zerstreuung und Befriedigung des Massengeschmacks hingegen scheint keine Kreativität nötig – ein simpler Eingabebefehl genügt, um das computergestützte Recycling des tausendfach Gehörten und Gesehenen zu veranlassen und sich daran zu ergötzen. An KI zeigt sich: Was technologisch ein Aufstieg in schwindelerregende Höhen ist, kann ästhetisch und anthropologisch zugleich einen tiefen Abstieg bedeuten.

Folgen Sie uns schon auf Instagram oder LinkedIn?

34
2

7
Kommentare

Kommentare