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Kolumne „Ein bisschen besser“

Mittel gegen Machtlosigkeit

„Judith“, sage ich zu meiner Frau, „laut einer Umfrage fühlen sich immer mehr Deutsche machtlos.“ Sie schaut mich über den Kopf des Töchterchens hinweg an, das heute ein bisschen malad ist und nicht von ihrem Schoß weicht.

Ich bin an sich kein Fan von Umfragen. Neulich lehnte ich zum Beispiel ab, als mich so ein Popup-Fenster auf einer Website fragte: „Glauben Sie, dass der Klimawandel noch aufzuhalten ist?“ Die möglichen Antworten lauteten: „Ja“ – „Nein“ – „Mir egal, ich nehme am Klimawandel nicht teil“ und: „Der Klimawandel ist eine Erfindung der Chinesen“.

Die Frage nach der Machtlosigkeit finde ich da interessanter, denn wer sich machtlos fühlt, trägt ein gewisses Frustrationspotenzial in sich und sucht sich welche, von denen er glaubt, sie sollten mal die Macht haben und es denen zeigen, die ihn selbst so machtlos machen. 52 Prozent der Deutschen fühlen sich auf diese Art machtlos.

Ein Ausdruck von Machtlosigkeit

Judith und ich gehören unzweifelhaft dazu, zumindest gestern Abend, als wir uns aufgedonnert hatten und in ein romantisches Restaurant gegangen waren, wo es ganz hervorragende Tortelloni mit Steinpilzen gibt und die Gäste auf einem romantisch geschwungenen Bergplateau sitzen.

Wir hatten das Töchterchen mitgenommen, das an diesem Abend dann die Macht übernahm, ihren Teller herunterschmiss, die benachbarten Gäste anbettelte, unter fremden Tischen durchkrabbelte und auch ansonsten hübsch unausstehlich war. Als Judith und ich die mitleidigen Blicke der anderen auf uns spürten, klappten wir den Kinderwagen zusammen, trollten uns und gossen uns zu Hause einen hinter die Binde, wo die Kleine schreien konnte, wie sie wollte. Das Hinter-die-Binde-Gießen ist auch so ein Ausdruck von Machtlosigkeit.

Heute Morgen war es dann ein bisschen besser, und wir hatten eine machtvolle Zeit: Als die Sonne erst kurz hinter den Berggipfeln hervorgekrochen war, zauberten wir ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen, die uns schon früh begegneten, einfach, weil wir sie mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßten.

Meckern oder um die Macht strahlen

Wir malten uns aus, wie wir den Tag verbringen würden oben beim Dorffest, wo der Pfarrer Ziehharmonika spielen wollte. Ich gab zur Freude aller ein meckerndes „Määhh“ von mir, als wir an einer Schafherde vorbeikamen, und tatsächlich kamen die Schafe sofort herbeigerannt.

„Siehst du“, sagte ich zu Judith, „ich muss nur meckern und schon habe ich die Macht.“ „Nein, du musst nur strahlen“, entgegnete sie. „Denn wer froh ist, ist ein König“, sangen wir dann im Kanon, als wir hoch zum Dorffest fuhren.

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