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KOLUMNE „EIN BISSCHEN BESSER“

Pasta Asciutta

Meine Frau Judith und ich gehören zur Generation, die vor der „Ich-trage-meinen Kaffeebecher-mit-mir-herum-Generation auf die Welt gekommen ist. Wir sind Anhänger der Ich-trinke-meinen-Kaffee-im Sitzen-Methode. Wir denken dabei an Kaffeehäuser, in denen es sich in roten Fauteuils vor einer dicken Porzellantasse hockend mit einem livrierten Kellner über Weltkriege, Königsmorde und Techtelmechtel reden lässt.

Wo die Zeitung noch raschelt und der regnerische März an der Fensterscheibe vorüberzieht, wie er es schon im letzten, vorletzten und all die Jahre getan hat. Der österreichische Berufs-Melancholiker und -alkoholiker Joseph Roth hat dort gesessen und darüber nachgedacht, dass er die Erwartungen übertreffe, die er niemals in sich gesetzt habe.

Cem Özdemir ist eine Art Spiegelbild von Joseph Roth. Alles verkehrt herum. Als Minister für Ernährungsfragen unterbietet er laufend die Erwartungen, die er in sich setzt. Er hat sich jetzt wortwörtlich vorgenommen, „vulnerablen Verbrauchergruppen Ernährungskompetenz“ beizubringen, was nach einer Idee klingt, die bei einem Kaffee-to-go entstanden sein könnte. Und vermutlich bei einer Pasta Asciutta im Vorübergehen oder einem Smoothie mit Glashalm in der Straßenbahn ist ihm dann zusätzlich eingefallen, dass der erste Schritt dazu sein müsste, Werbung für süße Sachen zu verbieten.

Liebe ist privat

Das will er jetzt tun, und es bedeutet nichts anderes als das Aus für „Haribo macht Kinder froh“. Ich persönlich finde das fast schlimmer als die Tatsache, dass seine Parteikollegin Annalena Baerbock das „Bismarck“-Zimmer in ihrem Amt umbenannt hat. Jedenfalls hatte ich mit Gummibärchen bisher und zeitlebens unmittelbareren Kontakt als mit dem Eisernen Kanzler.

Judith und ich sind jedenfalls sehr froh, dass wir nicht zu diesen störungsanfälligen Verbrauchergruppen zählen, sondern unsere Ernährungskompetenz ständig selbst und ohne Minister durch gegenseitiges Aufeinanderzugehen ausbauen. Judith will mir zum Beispiel beibringen, dass ein Espresso an der Bar im Stehen aus einer dickwandigen Tasse verbunden mit einem kurzen Instagram-Check auf dem Handy situationsbedingt sogar ein bisschen besser sein kann.

Ich schaue in ihre grünen Augen, nehme ihre weiche Hand, erfreue mich an ihrem energischen Schritt, und wir wechseln gemeinsam die Straßenseite. Ich stelle mich in die Bar neben sie. Während sie Insta checkt, fällt mir ein anderer dieser Kaffeehausliteraten ein. Alfred Polgar der Name. Der hat beim Blick in den regnerischen März vor der Fensterscheibe in seine Kladde gepinselt: „Liebe ist ein privates Weltereignis.“

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