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Kolumne „Der Philosoph“

Ein liebender Psychopath

Den sonntäglichen „Tatort“ schaue ich zwar schon lange nicht mehr, ein gewisses Faible für Kriminalgeschichten habe ich mir aber trotzdem bewahrt. Am liebsten höre ich mir True-Crime-Podcasts an. Bei allen Unterschieden, die es zwischen Tätern gibt, tauchen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale doch immer wieder auf.

Besonders auffällig ist, wie verbreitet die Diagnose „antisoziale Persönlichkeitsstörung“ unter Verbrechern ist. Rund drei Prozent der Bevölkerung leiden an dieser Störung; unter Gefängnisinsassen sind es dagegen 70 bis 80 Prozent. Landläufig ist auch von Psychopathen die Rede, obwohl sich Psychologen in der Verwendung dieses Ausdrucks und möglicher Unterschiede zwischen Psychopathie und antisozialer Persönlichkeitsstörung nicht ganz einig sind.

Tun wir aber hier einmal so, als sei beides dasselbe. Typische Merkmale der Störung sind unter anderem die Verletzung sozialer Normen, Falschheit und Verstellung, Empathielosigkeit, Impulsivität, Aggressionen, Verantwortungslosigkeit und die Unfähigkeit zur Reue. Eine weitere Bedingung für eine Diagnose lautet, dass die Symptome sich schon während der Kindheit, genauer: vor dem 15. Lebensjahr, manifestiert haben müssen.

Ist unsere Willensfreiheit nur eine Illusion?

Psychopathen im Sinne der antisozialen Persönlichkeitsstörung fordern das philosophische Denken auf besondere Weise heraus. Die Existenz solcher Menschen scheint nämlich den freien Willen und mit ihm die moralische und juristische Verantwortlichkeit in Frage zu stellen. Wie können Menschen, die seit ihrer Kindheit aufgrund einer psychischen Krankheit keinerlei Mitgefühl haben, zu Gewalttaten neigen und zu keinerlei Reue fähig sind, als freie und vernünftige Personen anerkannt werden? Muss man ihnen nicht die Ehre einer Strafe verwehren und sie stattdessen wie Kranke therapieren oder sie gar wie gefährliche Tiere neutralisieren?

Und viel beängstigender noch: Wenn Psychopathen aufgrund der ihnen zugefallenen sozialen und genetischen Umstände gar nicht anders können, als Täter zu werden, können wir, die wir nicht von einer derartigen Störung betroffen sind, vielleicht auch gar nicht anders als „gut“ zu sein? Ist also auch unsere Willensfreiheit womöglich nur eine Illusion?

Zu all diesen Fragen kommt für Christen noch eine weitere dazu, nämlich wie sich die Existenz von Psychopathen damit verträgt, dass Gott jedem Menschen die Möglichkeit schenkt, seine Liebe zu erwidern. Ein Mensch, der aufgrund einer Persönlichkeitsstörung völlig gefühlskalt ist und höchstens sich selbst „lieben“ kann, müsste doch von vornherein vom Heilsplan Gottes ausgeschlossen sein.

Macht der Vernunft und Gottes Gnade

Auf diesen letzten Punkt sprach ich jüngst einen guten Freund an, der nicht nur in theologischen Fragen eigentlich nie um einen hilfreichen Hinweis oder eine kluge Einsicht verlegen ist. Er machte mich auf David Wood aufmerksam, einen US-amerikanischen christlichen Apologeten. Wood war mir zwar bereits durch seine Videos zur Widerlegung des Islams ein Begriff gewesen, aber eines wusste ich nicht: Wood ist ein Psychopath, sprich: jemand, der an antisozialer Persönlichkeitsstörung leidet.

Als Jugendlicher brach er in Häuser ein und kam – als überzeugter Atheist und Darwinist – zu der Überzeugung, dass seine Unfähigkeit zu Empathie und Reue Zeichen dafür seien, dass er die nächste Stufe der Evolution erreicht hätte. Er beschloss, seine Überlegenheit über seine Mitmenschen und ihre kleinlichen sozialen und moralischen Regeln durch einen Mord am eigenen Vater zu beweisen. Und wirklich: Mit 18 Jahren schlug Wood seinem Vater mit einem Hammer den Kopf ein. Doch dieser überlebte. Wood kam zuerst in eine psychiatrische Anstalt und schließlich für mehrere Jahre ins Gefängnis.

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Was sich dort ereignete, zeigt die unglaubliche Macht der Vernunft, zumindest wenn sie gepaart mit Gottes Gnade auftritt. Der Atheist Wood lernte im Knast einen Christen kennen, der ihm argumentativ überlegen war. Das konnte Wood nicht auf sich sitzen lassen. Er begann die Bibel, theologische Schriften, apologetische Literatur und philosophische Argumente für die Existenz Gottes und die Wahrheit des Christentums zu studieren.

Am Ende musste er einsehen, dass der Theismus in Form des Christentums wahr ist. Und was mindestens so bedeutsam war: Gemessen an Jesus Christus, dem Mensch gewordenen Schöpfer des Universums, war er nicht der Übermensch, für den er sich gehalten hatte, sondern ein besonders defektes Exemplar einer zur Sünde neigenden Gattung.

Lieben ist ein Akt des Willens

Die Transformation, die sich seit seiner Bekehrung vollzogen hat, ist radikal. Wood kam frei, studierte und promovierte in Philosophie, gründete eine kinderreiche Familie und ist heute erfolgreicher christlicher Apologet. Das Krankheitsbild ist aber nicht verschwunden: Reuegefühle und Empathie mit anderen sind ihm weiterhin fremd. Aber Wood kompensiert die mangelnden Gefühle mit seiner Vernunft: Er weiß, welche Reaktionen und Handlungsweisen von einem Christen verlangt werden und verhält sich entsprechend.

Dass er aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung unfähig sei, Gott und seine Nächsten zu lieben, lässt Wood aber nicht gelten. In der Tat gilt: Wohlverstanden handelt es sich bei der Liebe zu Gott, den Nächsten und den Feinden gerade nicht um kuschelig-warme Gemütsaufwallungen. Gefühle sind bekanntlich schwankend und vergänglich. Die Liebe ist vielmehr, wie Thomas von Aquin wusste, ein Akt des Willens, der auf das objektiv Gute gerichtet ist.

So gesehen hat der Psychopath Wood sogar einen entscheidenden Vorteil: Er ist in seinem Urteil geradezu immun gegen die um sich greifende Hyperemotionalisierung des Diskurses, durch die das subjektive Empfinden regelmäßig über die Wahrheit und das Gute gestellt wird.

 

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Kommentare

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Andreas Graf
Vor 5 Monate 3 Wochen

"Der Atheist Wood lernte im Knast einen Christen kennen, der ihm argumentativ überlegen war." Können wir für unseren Glauben einstehen, so sehr, dass er die Grundfesten des Gegenübers erschüttern kann?

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Andreas Graf
Vor 5 Monate 3 Wochen

"Der Atheist Wood lernte im Knast einen Christen kennen, der ihm argumentativ überlegen war." Können wir für unseren Glauben einstehen, so sehr, dass er die Grundfesten des Gegenübers erschüttern kann?