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Interview mit Pater Matthias Schlögl OSA

„Prevost ist kein Moralapostel, sondern ein besonderer Mutmacher“

Das Mobiltelefon von Pater Matthias klingelt ununterbrochen. Fast ausnahmslos Journalisten sind es, die ihn an diesem Tag erreichen wollen. Es ist der Tag nach der Wahl Robert Francis Prevosts zum Papst Leo XIV. Matthias Schlögl ist Regionalvikar der Augustiner im Herzen Wiens und als solcher der oberste Mann desselben Ordens in Österreich, dem auch der neue Papst angehört. 

Pater Matthias führt die Journalisten aus den Verwaltungsräumen des Klosters hinein in die Kirche. Dort las Prevost an Allerheiligen 2024, damals noch Kurienkardinal, die heilige Messe. Nicht nur einmal sind sich Pater Matthias und der jetzige Papst Leo begegnet. Von 2001 bis 2013 war Prevost Generalprior der Augustiner und als solcher Schlögls Chef. Seit dem 8. Mai ist der in der Öffentlichkeit eher stiefmütterlich behandelte Augustinerorden wieder im Fokus. Was heißt das? Und wie führte Prevost als Augustinerprior seinen Orden? Was können Katholiken von ihm erwarten?

Der neue Papst Leo XIV. ist wieder ein Ordensmann. Er ist Augustiner, der erste Augustiner auf dem Petristuhl. Was bedeutet das für die Kirche?

Papst Leo ist seit 1977 Augustiner. In all den Jahren als Priester und Bischof pflegte er die Gemeinschaft des Ordens. Ich denke, dass er wesentliche Elemente unserer Ordensspiritualität in sein Pontifikat einfließen lassen wird, wie er auch schon bei seinen ersten Worten nach der Wahl unseren heiligen Ordensvater Augustinus zitierte: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“

Der Augustinerorden ist ein Bettelorden, der als besonders demokratisch gilt. Was darf man sich darunter vorstellen?

Warum besonders demokratisch? Der Augustinerorden ist nicht anders demokratisch als alle anderen Ordensgemeinschaften: die Ordensoberen werden durch Wahlverfahren ermittelt.

Sie haben den jetzigen Papst als Kardinal und als Generalprior des Augustinerordens mehrfach getroffen, zuletzt an Allerheiligen hier in Wien anlässlich des 675. Jubiläums der Weihe der Augustinerkirche. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Wir haben Kardinal Prevost als Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe und ehemaligen Generalprior eingeladen, am 675. Weihetag der Augustinerkirche das Pontifikalamt zu feiern. Er hat die Einladung nicht nur gerne angenommen, er hat gezeigt, dass er mit seinem Kommen nach Wien unsere sehr kleine Gemeinschaft für den Weg in die Zukunft stärken möchte.

Der damalige Kardinal Prevost an Allerheiligen 2024 in der Augustinerkirche in Wien mit den Patres, darunter Pater Matthias

Als Generalprior war er Ihr Vorgesetzter. Wie führt Robert Prevost?

Wir Wiener Augustiner sahen in Robert Kardinal Prevost OSA und sehen in Leo XIV. einen besonderen Mutmacher. Er ist kein Moralapostel, der zurechtweisen will, sondern der das, was er sieht, motivierend in die richtige Bahn lenken kann. Das hat ihn als Ordensoberen ausgezeichnet, das wird ihn wohl auch als Papst kennzeichnen.

„Viele Forderungen von damals sind immer noch ungelöst“

Eine Namenswahl geschieht mit Bedacht. Was können wir aufgrund des Namens – man denke an Leo den Großen oder Leo XIII. – erwarten?

Papst Leo betonte gleich zu Beginn das Engagement für eine aufmerksamere katholische Kirche gegenüber den Gläubigen sowie für eine Kirche, die sich um die „Geringsten und Ausgestoßenen“ kümmert. „Gerade weil ich mich berufen fühle, diesen Weg weiterzugehen, habe ich den Namen Leo XIV. gewählt“, erklärte der Papst. Leo XIII. legte den Grundstein für die moderne katholische Soziallehre.

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Seine bahnbrechende Enzyklika „Rerum Novarum“ befasste sich 1891 mit der Situation der arbeitenden Menschen und dem Kapitalismus zu Beginn des Industriezeitalters. „Leo XIII. stellte sich den Herausforderungen der ersten industriellen Revolution – heute stehen wir vor einer neuen: der Revolution der künstlichen Intelligenz und ihrer Auswirkungen auf Gerechtigkeit, Arbeit und Menschenwürde“, so Papst Leo XIV.

Also sieht die soziale Frage heute anders aus als vor 130 Jahren?

Der Weg der katholischen Soziallehre begann mit „Rerum Novarum“, aber viele Forderungen von damals sind immer noch uneingelöst und daher im globalen Blick auf unsere Welt nach wie vor brennend. Als Beispiele seien nur die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich in den Ländern des Südens und der nördlichen Hemisphäre genannt oder der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Handeln des Menschen und den Auswirkungen auf das soziale Leben und den ökologischen Hintergrund.

Corrigenda-Redakteur Christian Rudolf im Gespräch mit Pater Matthias

Papst Leo XIII. hat fast 90 Enzykliken verfasst. Darunter auch „Immortale Dei“, darin schreibt er, dass die Behauptung, es gebe bei Religionen keinen Unterschied, dasselbe wie Atheismus sei. Franziskus hatte während einer seiner letzten Reisen in Singapur im September 2024 indessen behauptet, alle Wege führten zu Gott, die verschiedenen Religionen seien wie unterschiedliche Sprachen. Dafür erntete er auch Widerspruch. Dürfen die Katholiken mit Leo XIV. mehr Klarheit in Glaubensdingen erwarten?

Die Frage nach der Religionsfreiheit, der Ökumene und dem interreligiösen Dialog hat in der katholischen Kirche erst eine jüngere Tradition und begann sich erst durch die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils zu entfalten. So können in den lehramtlichen Äußerungen verschiedener Epochen widersprüchliche Inhalte auftauchen. Leo XIV. wird aber sicher keine theologischen lehramtlichen Äußerungen tätigen, die das Zweite Vatikanum ignorieren.

„Die wichtigste Aufgabe der Kirche ist das Da- und Mit-Sein mit den Menschen“

Manche Beobachter meinen, Franziskus habe viel unnütze Unruhe in die Kirche gebracht. Hat sein Nachfolger das Potenzial, als Versöhner zwischen den Flügeln die Una Sancta zu einen?

Jeder Papst ist und bleibt Zeichen der Einheit der Kirche und dient eben dieser Einheit. Wir denken, dass sich Papst Leo XIV. intensiv diesem Auftrag verpflichtet weiß und verbindend wirken wird.

Was sehen Sie als die drängendsten Probleme und Aufgaben für die Kirche? Einerseits global, einerseits in Europa? Unser Erdteil scheint ja ein Sonderfall zu sein mit der drastischen Säkularisierung.

Die Kirche hat überall auf dem Erdenrund in ihren Grundaufträgen der Feier des Glaubens, der Verkündigung des Glaubens und der gelebten Nächstenliebe zur Ehre Gottes und zum Heil aller Menschen zu wirken. Somit ist die wichtigste Aufgabe das Da- und Mit-Sein mit den Menschen und das Teilen ihrer „Trauer und Angst, ihrer Freude und Hoffnung“. Die Gläubigen werden auf die Zeichen und Notwendigkeiten der jeweiligen Situation und Region mit Offenheit antworten.

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