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Kolumne „Mild bis rauchig“

Humoralarm

Als Kind war ich ein Fan von Otto Waalkes. Die LPs mit den Live-Mitschnitten seiner Veranstaltungen haben meine Freunde und ich verschlungen. Wir konnten die Gags beinahe auswendig und haben sie uns gegenseitig immer wieder vorgetragen. Einige von ihnen hatten sogar das Zeug, in unseren Kreisen zu geflügelten Worten zu werden, die uns in Alltagssituationen herausrutschten: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelheinzchen stieß!“

Der Blödelbarde war für uns das anarchische Gegenstück zur anstrengenden und in unserer Zeit damals etablierten Polit-Anarchie, die von älteren Schülern bissig vertreten und mittels ihrer Arafat-Halstücher stets weltschmerzhafte Präsenz zeigte. Dem gegenüber war Otto mit seinen einfach nur schmerzfreien und – zugegeben – wenig tiefgründigen, dafür aber angenehm botschaftsfreien Blödeleien die reine Erholung. Wie angenehm! Die Bühne bei seinen Auftritten ein Chaos, die Performance albern, die Musik ohne Struktur und Ohrwürmer. Ein bisschen Helge Schneider der Siebziger.

Die Filme habe ich mir nie angeschaut. Otto ist kein Format fürs Kino. Oder umgekehrt: Kino ist keine Bühne, auf der der Straßengaukler Otto „Otto“ ist. Die Otto-Show mit ihrem geplant ungeplanten Verlauf war ein Muss – damals noch in Echtzeitausstrahlung – und durfte mangels Aufzeichnungsmöglichkeiten nicht verpasst werden.

Blödsinn ist gefährlich, es sei denn er ist Staatshumor

Später habe ich Otto Waalkes recht bald vergessen. Mein Humor wurde ein anderer, wenngleich die Affinität zum Blödsinn geblieben ist. Denn Blödsinn ist der Humor der Kinder, deren Hang zur Anarchie zu allen Zeiten echt und entwaffnend ist. Er bringt die Gebäude ernsthafter Welterklärer zum Einsturz durch kindliche Ignoranz, die nicht aus dem Gefühl, erhaben zu sein, gespeist wird, sondern die schlicht und einfach aus einer anderen Priorisierung stammt und deswegen an allen erwachsenen und aufgeklärten Wichtigkeiten vorbeihört.

Kinder sind beim Spielen unempfänglich für Botschaften. Sie wollen in Ruhe gelassen werden mit der Frage, welchen Wert das habe, was sie da gerade machen. Und so lachen Kinder auch dann, wenn es eigentlich aus Gründen des Anstands oder des Mitleids oder der sie umgebenden Wertewelt verboten ist. Genauso gähnen sie oder schauen aus dem Fenster, wenn sie die Erwachsenenwelt, die man ihnen – womöglich auch noch didaktisch wertvoll und kindgerecht – vorführt, langweilt.

Erst der stete Tropfen der Zwangsmaßnahmen unserer Erziehungsinstitutionen brechen die Unbefangenheit, über Blödsinn zu lachen und im falschen Moment albern zu sein. Denn die Welt ist schlecht, der Mensch böse oder zumindest ein Problem für den Planeten. Blödeleien sind deswegen eine gefährliche Ablenkung vom Thema – es sei denn, sie sind ein Erziehungsmittel. Dann sind sie erlaubt und ein Teil des Staatshumors.

Inobhutnahme aller, die an den falschen Stellen lachen

Eine Kostprobe dieser Inobhutnahme aller, die an den falschen Stellen lachen, konnte man kürzlich beim öffentlich-rechtlichen Westdeutschen Rundfunk in Köln erleben. Man war geneigt, Otto Waalkes zu seinem 75. Geburtstag zu ehren. Mehrere Episoden der Otto-Show aus den siebziger Jahren sowie Programme aus den Achtzigern in der Mediathek des Senders lassen den Barden erneut aufleben und die mit ihm alt und älter gewordenen Fans nostalgisch in den Blödelkeller ihrer Siebziger-Jahre-Jugend hinabsteigen.

Allerdings bleibt die Retrospektive nicht ungetrübt. Denn es sind fünfzig Jahre ins Land gegangen, und mit der Zeit haben sich die Ohren und Gemüter der Konsumenten von Humor und Comedy geändert. Oder sollen wir sagen „weiterentwickelt“? Wie man es heute in Kirche und Kultur zu machen pflegt, wenn man die Änderung der Marschrichtung nicht so direkt zugeben will.

So versieht man die Ausstrahlung mit einem Warnhinweis: „Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.“ Oha! Was mag das sein? N-Wörter? Frauenfeindliches, Rassistisches gar? Der WDR blieb bislang eine Erklärung schuldig.

Es wird immer schwerer, die Kirche im Dorf zu lassen

Der Entertainer ist es zwar in seiner Beliebtheit wert, dass er gewürdigt wird. Aber da er aus einer Zeit stammt, in der die Diskriminierungsfallen noch nicht aufgestellt waren, muss man die zarten Gemüter unserer Tage vor den damals noch offensichtlich unaufgeklärten Gags und Witzen warnen. Möglicherweise ist der Hinweis aber auch eine pauschale Präventivwarnung, die man einfach mal so in den Raum stellt, wie man im Restaurant sicherheitshalber bemerkt, dass dieses Speise Spuren von dem und dem enthalten kann.

Vor Komik könne gar nicht genug gewarnt werden, so reagierte Waalkes ironisch. „Vor allem die ‘Otto-Show’ kann bei Konsumenten zu unkontrollierbaren Heiterkeitsausbrüchen und Lachmuskelkater führen.“ Nun ja, gäbe es einen Beipackzettel, dann stünde dort sicherlich etwas anderes drauf, nämlich dass die Vorstellungen von Geschlechterrollen sich gewandelt hätten und in unserer Zeit der Diversitätssensibilität schnell jemand auf den Fuß getreten sein kann. Alles Weitere bleibt Spekulation.

Was feststeht, ist, dass es in Deutschland schon immer schwer war und zunehmend schwerer wird, die Kirche im Dorf zu lassen. Und dass das Land der Dichter und Denker in ein Land der Zuendedenker und Abgedichteten mutiert ist. Das inquisitorische Moralapostolat, in das sich die „Eliten“ verstrickt haben, lässt kaum noch Luft zum Atmen.

„Er hat ja gar nichts an!“

Nicht nur die schleichende Stigmatisierung der Fleischesser durch Ansagen wie die von Minister Karl Lauterbach, der Anfang August auf Twitter warnte: „Wer 100 g Fleisch isst, setzt ca. 10 kg Treibhausgase frei. Das entspricht 40 km Fahrt mit dem Benziner“, sondern auch Fragen wie die von Sandra Maischberger an Helge Schneider, wie er sich dazu stelle, dass der Jazz, den er spielt, doch eigentlich eine illegitime kulturelle Aneignung bedeute, lässt jeden Humor gefrieren. Im letzten Fall taut man erst dadurch sofort wieder auf, dass man den Komiker sagen hört, er habe immer Jazz gespielt, und ob das eine kulturelle Aneignung sei, interessiere ihn einen Scheißdreck.

Bödelhumor ist eben immer noch entwaffnend und begegnet mit seiner kindlichen Unbeschwertheit dem Diktat des ideologischen Tunnelblicks wie das Kind aus dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern, das am Straßenrand auf den nackten Kaiser zeigt und aller Welt sagt, was Sache ist: „Er hat ja gar nichts an!“ Heute hätte man ihm den Mund verboten, weil schließlich die Eitelkeit des autosuggestiv veranlagten Kaisers zu seiner Identität gehört und er deswegen durch den brutal-kindlichen Hinweis auf die Wahrheit der Dinge nicht diskriminiert werden darf.

Wir werden es sicherlich noch erleben, dass auch dieses Märchen der Purifikation durch die Zensoren der neuen Staatskulturkammern zum Opfer fallen wird und es in den künftigen diversitätsbewussten Kindertagesstätten und Schulen entweder nicht mehr gehört und gelesen werden wird oder zumindest mit einem Warnhinweis ausgestattet sein wird, der die aus heutiger Sicht für die Gefühlswelt einbildungsbewusster Couturiers und ihrer Kundschaft problematische Literatur brandmarkt, um auf der sicheren Seite zu sein.

Dem Zugriff durch die Kulturpolizisten entzogen

Ja, so kann es kommen. Dennoch – so bleibt zu hoffen – wird der Humor nicht vergehen, der sich uninfizierbar erweist gegen jede Form von Ideologie oder Denkverbote. Denn der Humor ist nach G. K. Chesterton die Wahrnehmung des Komischen und Unpassenden und verweigert sich jeder Definition schon allein dadurch, dass es einen Mangel an Humor erweist, nach einer Definition von Humor zu suchen.

In dieser keineswegs tautologischen Beschreibung der Unfassbarkeit des Humors liegt seine zeitüberhobene Stärke. Sie entzieht ihn jedem Zugriff durch die Kulturpolizisten der Gegenwart, weswegen er über die Warnhinweise vor dem unschuldigen Blödel-Otto auch nur lachen kann. Denn Humor entspringt der in den Menschen hineingelegten Fähigkeit zur Wahrheit, die alles komisch aussehen lässt, was sich ihr verweigert.

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Kommentar
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Bea
Vor 8 Monate

Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht...

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Stephan Wachtel
Vor 8 Monate

Lieber Dr. Rodheudt,

vielen Dank für diese Stippvisite in meiner Jugend. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Einen schönen Sonntag

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H.u.P.Dornfeld
Vor 8 Monate

Ein feiner Beitrag – bis auf den letzten Satz, den zuletzt der bekennende Katholik Armin Laschet gründlich widerlegt haben dürfte. Die behauptete 'in den Menschen hineingelegte Fähigkeit zur Wahrheit' hätte ihn sicher davor geschützt, angesichts der Katastrophe fröhlich zu lachen.

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Bea
Vor 8 Monate

Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht...

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Stephan Wachtel
Vor 8 Monate

Lieber Dr. Rodheudt,

vielen Dank für diese Stippvisite in meiner Jugend. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Einen schönen Sonntag