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Kolumne „Ein bisschen besser“

Wie höhere Gewalt auch Euer Leben bestimmt

Als Judith und ich neulich am Flughafen saßen und auf die Maschine ins liebliche Südfrankreich warteten, sind wir plötzlich Opfer höherer Gewalt geworden. Die Lufthansa flog nicht, weil bei Marseille der Wald brannte.

„Force Majeure“ sagt der Franzose achselzuckend zu so was. Und es ist ihm dabei völlig schnurz, ob unser kleiner Tripp, platsch, ins Wasser gefallen ist, zu dem wir Wochen vorher die Hündin in eine Tierpension und das Töchterchen zu den Großeltern ins kleine Dorf auf die Schwäbische Alb verfrachtet hatten. Ich frage mich seither, wer diese höhere Gewalt eigentlich ist, die da in unser Leben eingreift.

So viel wie Naturkatastrophe, Krieg oder Deutsche Bahn

Bisher habe ich sie als eine Art majestätisches Universalargument wahrgenommen, mit der sich alles und auch das Gegenteil rechtfertigen und vor allem vermeiden lässt. Rein juristisch bedeutet höhere Gewalt eigentlich: unvorhersehbares, unabwendbares Ereignis, das ein bisschen spektakulärer ist als die Ausrede „Meine Hündin hat die Steuererklärung gefressen“. Also Naturkatastrophe, Krieg oder Deutsche Bahn.

Höhere Gewalt hat Stil. Und vor allem: keine Konsequenzen. Höhere Gewalt ist der Joker für alle, die Verantwortung grundsätzlich nur aus Social Media kennen. Sie ist das „Amen“ des Sachbearbeiters.

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Höhere Gewalt klingt, als würde Zeus persönlich ein Einschreiben vom Olymp schicken: „’Tschuldigung, heute kein Betrieb – höhere Gewalt.“ Theologisch betrachtet ist sie ein göttliches Update fürs Diesseits, gern unangekündigt installiert, wie Windows, nur mit mehr Blitz und Donner. Im Alten Testament hieß sie noch Zorn Gottes, was nach Feuerregen auf Sodom und Gomorrha klingt.

Noch mal höhere Gewalt …

„Alles hat seinen Sinn“ sagen die Großeltern, als wir abends wieder da sind, um das Töchterchen vorzeitig abzuholen. Ich denke: „Ja, aber welchen?“

Wir sind dann weiter ins nördliche Italien gefahren, wo wir den Sommer verbringen wollen, und kamen rechtzeitig an zum Fest auf der kleinen Piazza inmitten des Labyrinths der Gassen des alten Dorfes, in dem wir dort wohnen. Es gab roten Wein und weißen Wein und Bier in vielen Flaschen und ein wenig warm. Eine Combo holte alles aus ihren Gitarren raus.

Und Judith berichtete am nächsten Morgen, als mein Männerschnupfen abgeklungen war, mit dem ihr eigenen Unterton in der Stimme, ich hätte auch schön von der Bühne gesungen. „Höhere Gewalt“, dachte ich und habe jetzt immerhin eine verschwommene Vorstellung davon, was das ist.

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