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Ein Gastauftritt Gamaliels

Lasst sie nur!

Sagt Ihnen der Name Gamaliel etwas? „Ist das nicht der Typ, der immer die Schlümpfe jagt?“, erwiderte mir mal ein Student auf die Frage. Nun, das ist Gargamel, aber immerhin mitgedacht. Gamaliel war einer der größten jüdischen Gelehrten des ersten nachchristlichen Jahrhunderts und wird bis heute als solcher verehrt. Er hat aber auch einen kleinen Gastauftritt in der neutestamentlichen Apostelgeschichte, wo er sich erfolgreich gegen die Verurteilung der Apostel ausspricht, und zwar mit folgenden Worten: „Lasst ab von diesen Menschen und lasst sie gehen! Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird es untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten.“

Dieser Rat des Gamaliel hat stets eine äußert beruhigende Wirkung auf mich. Wann immer ich mir etwa Stellungnahmen des Synodalen Weges anschaue, gerate ich für einen kurzen Moment in Wut und Verzweiflung, besinne mich dann aber wieder auf den genannten Rat. „Lasst sie“, denke ich mir dann, „ihre eigene Kirche aufbauen. Es wird nicht mal eine Generation dauern, bis eine solche ‘anders-katholische’ Kirche in sich zusammenfällt, da sie nichts weiter als Menschenwerk ist.“

Man kann den Rat des Gamaliel aber auch weit über den kirchlichen Bereich hinaus ausweiten. So musste ich zum Beispiel an ihn denken, als ich vor einiger Zeit erlebte, wie die Moderatorin Tahnee Schaffarczyk auf die Aussage ihres Interviewpartners reagierte, der meinte, dass es eine gesellschaftliche Gruppe gebe, die sich nicht im Geringsten für Woke-Kultur und Gendersprache interessiere. „Ja, aber die sterben ja bald alle.“

Diese Worte und ein vielsagendes Lachen waren ihre Reaktion, an der zweierlei auffällt. Erstens die atemberaubende Unverschämtheit, mit der eine Moderatorin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einer großen Gruppe von Menschen den Tod wünscht. Vielleicht trägt ihre Sendung ja daher den Namen „Limbus – Zur Hölle mit Tahnee“, wobei der Begriff „Limbus“ hier insofern irreführend ist, als man in diesen bekanntlich nur unverschuldet gelangt. Viel faszinierender als dieser Aspekt ist aber die unglaubliche Ironie dieser Aussage. Denn in Wahrheit ist es genau umgekehrt.

Eine Form radikalen Selbsthasses, der seinesgleichen sucht

Der Woke-Wahn wird weltweit nur von einer einzigen Bevölkerungsschicht getragen: von der weißen Oberschicht des Westens, der nicht nur zufällig auch die soeben zitierte Moderatorin angehört. Keine ethnische Gruppe aber schrumpft seit Jahrzehnten so stark wie die weiße Bevölkerung, und innerhalb dieser sinkt die Kinderzahl noch zusätzlich mit dem Bildungsniveau.

In den gebildeten Schichten findet sich seit Neuestem sogar die „Birthstrike“-Bewegung, deren Mitglieder sich zugunsten des Klimaschutzes zur Kinderlosigkeit verpflichten. Wobei man sich hier schon fragen darf, welche Art von Bildung diese Menschen durchlaufen haben, denn der Versuch, durch Boykottieren von Fortpflanzung die Menschheit zu retten, gleicht in etwa dem Versuch, durch Vergewaltigung einer Frau deren Jungfräulichkeit zu bewahren.

Wir haben es hier mit der paradoxen Situation zu tun, dass die weiße Bevölkerung einerseits die alleinige Trägerin des woken Narrativs ist, andererseits aber diesem Narrativ zufolge an allem Übel der Welt schuld ist. Es handelt sich also um eine Form radikalen Selbsthasses, wie ihn die Welt bisher kaum kannte.

Es fehlt völlig an logischer Konsequenz

Faszinierend ist in diesem Zusammenhang ein Blick in das Werk des jüdischen Autors Theodor Lessing, der 1930 mit seiner umstrittenen Diagnose vom „Jüdischen Selbsthass“ für Aufsehen sorgte. Lessing, der bereits drei Jahre später Opfer nationalsozialistischer Attentäter wurde, schreibt: „Die Entwicklung des jüdischen Menschen zeigt erstens eine (verhängnisvolle) Überhöhung des geistig-bewussten Lebens über das ästhetisch-religiöse. Und zweitens innerhalb des geistig-bewussten Lebens ein bedeutsames Vorwiegen des ethisch-wollenden Menschen über den logisch-erkennenden.“

So schwer es fällt, bei einer solchen Aussage den jüdischen Kontext auszublenden, so schwer fällt es auch, hier keine Parallelen zu heutigen Woke-Aktivisten zu erkennen. Auch diesen Menschen geht ein ästhetisch-religiöser Zugang zum Leben völlig ab, sie betrachten das Leben ausschließlich als Konstrukt ihrer eigenen Gedanken. Wie könnte man sonst auf den Gedanken kommen, durch krampfhafte Veränderungen der deutschen Grammatik die Lebensqualität der Menschen verbessern zu wollen?

Zugleich fehlt es in diesem Gedankenkonstrukt aber komplett an logischer Konsequenz. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man beispielsweise das Geschlecht für variabel und frei wählbar erachtet, die geschlechtliche Orientierung hingegen als angeboren und unveränderlich?

Bewegungen, die sich gegen Gott richten, können auf Dauer keinen Erfolg haben. Dasselbe gilt für Bewegungen, die sich gegen das Leben und seine natürliche Ordnung richten. Das bedeutet bedauerlicherweise nicht, dass wir diesen Irrsinn nicht noch eine Weile werden ertragen müssen. Aber die Dinge sub specie aeternitatis zu betrachten, mit dem wohligen Gefühl, dass das Leben am Ende immer triumphieren wird, kann Balsam für die Seele sein.

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