Der mit den Fragezeichen

Ein lauer Mai-Abend in Rom, 18 Grad, die langsam sinkende Sonne taucht den Petersplatz in mildes Licht: Um 19.13 Uhr verkündet der Protodiakon des Kardinalskollegiums, der Franzose Dominique Mamberti, von der Mittelloggia des Petersdoms die berühmten Worte „Annuntio vobis gaudium magnum, habemus Papam!“ Damit ist es schnell gegangen: Bereits aus dem vierten Wahlgang des größten Konklaves der Kirchengeschichte ist der neue Oberhirte der 1,4 Milliarden Katholiken hervorgegangen. Der Vatikan-Flurfunk hatte also recht, die Kardinäle wünschten sich eine zügige Wahl – und sie bekamen sie.
Die ersten Worte
Dann hört die Welt zum ersten Mal den Namen des 266. Nachfolgers Petri: Robert Francis Kardinal Prevost aus Chicago ist Leo XIV.! Und wir Deutschen sind jetzt zwar nicht noch einmal Papst, sondern der Papst „ist jetzt ein Ami“, wie die Bild-Zeitung sogleich unnachahmlich titelte – nachdem in den Sechzigern der Mond ein Ami war.
Der erste Pontifex der Kirchengeschichte, der aus den USA stammt. Und US-Präsident Donald Trump hinter dem Großen Teich platzt vor Selbstbewusstsein! „It is such an honor to realize that he is the first American Pope“, ließ Trump sogleich über seine Plattform Truth Social wissen. „What excitement, and what a Great Honor for our Country.“
Kurz vor halb acht tritt der Neue auf die Loggia, sichtbare Freude auf den Gesichtern seiner Begleiter: Robert F. Prevost erscheint hager und hochgewachsen, mit Brille und weißgraumeliertem Haar, mit 69 Jahren noch verhältnismäßig jung – am 14. September wird er sein 70. Lebensjahr vollenden. Angetan ist er mit der traditionellen Kleidung, der einem Pontifex angemessenen: um die Schultern die purpurrotschimmernde päpstliche Mozetta, darüber die Stola, ein bis an die Hüften herabhängender verzierter Stoffstreifen. Auf der Brust ein goldenes Kreuz wie bei Johannes Paul II. und Benedikt XVI. – kein silbernes, wie Franziskus es trug, kein hölzernes, das ein Hinweis auf eine scharf progressistische Gesinnung wäre.
Papst Leo öffnet seinen Mund, breitet segnend die Hände aus: „Der Friede sei mit Euch allen!“ Das sind seine ersten Worte. Nicht das bürgerliche „Buona sera“, mit dem sein Vorgänger die Welt begrüßte. Im weiteren Verlauf zeigt sich: Der Papst kann reden.
Robert Prevost war kein Favorit unter den 133 zur Wahl stehenden Kardinälen, nur wenige hatten ihn auf dem Schirm. Der US-amerikanisch-peruanische Ordensgeistliche war zuvor Bischof von Chiclayo im Nordwesten Perus. Italienische Medien hatten ihn als „den am wenigsten amerikanischen der Amerikaner“ beschrieben. „Ich bin ein Sohn des heiligen Augustinus“, bekennt sich der neue Papst in seiner Ansprache. Erst Anfang 2023 war Prevost zum Präfekten des Dikasteriums für die Bischöfe ernannt worden: Als Kurienkardinal beriet er Papst Franziskus bei der Wahl der Bischöfe.
Von der Mittelloggia hinab schickt er Grüße in seine Diözese in Peru – auf Spanisch. Nach wenigen Worten erinnert er an seinen am Ostermontag verstorbenen Vorgänger im Hirtenamt. Mit lebendiger und kräftiger Stimme unterstreicht Leo XIV.: „Wir müssen gemeinsam versuchen, eine missionarische Kirche zu sein! Eine Kirche sein, die Brücken baut und Dialog herstellt, die immer offen ist“, „Euch allen möchten wir eine synodale Kirche sein, eine Kirche, die vorwärtsgeht, die Frieden stiften will“, und: „Wir setzen als römische Kirche ganz auf die Liebe und den Dialog.“ Weitere Marker sind die Begriffe „für Friede und Gerechtigkeit“, ein liebevoller Bezug zur Gottesmutter Maria sowie ein „ohne Furcht für Christus arbeiten“.
Zum Ende seiner Ansprache betet er das Ave Maria, bevor er den Gläubigen auf dem Petersplatz zum ersten Mal seinen päpstlichen Segen „Urbi et Orbi“, der Stadt und dem Erdkreis, spendet.
Herkunft und Werdegang
Mit Papst Leo XIV. sitzt nach Papst Franziskus erneut ein Ordensmann auf dem römischen Bischofsstuhl. Geboren wurde er als Robert Francis Prevost am 14. September 1955 in Chicago. Sein Vater Louis Marius Prevost hatte französische und italienische Vorfahren, seine Mutter Mildred Martinez war spanischer Abstammung. Der junge Robert Francis zeigte schon früh Interesse am geistlichen Stand, seinen Schulabschluss machte er 1973 am Kleinen Seminar des Ordens des heiligen Augustinus. 1977 schloss er ein Mathematikstudium mit dem Bachelor of Science an der Villanova University in Pennsylvania ab, die ebenfalls von Augustinern geleitet wird.
So nimmt es wenig wunder, dass er 1977 dem Orden beitrat, 1978 die zeitliche und 1981 die ewige Profess ablegte. Sein Theologiestudium schloss Prevost 1982 ab, im selben Jahr wurde er zum Priester geweiht. Drei Jahre später wurde er mit einer Dissertation im Kirchenrecht an der römischen Dominikaneruniversität zum Dr. theol. promoviert.
Der Neupriester blieb jedoch nicht in Rom, sondern ging in die Augustinermission nach Peru. Der dortigen Territorialprälatur Chulucanas stand er 1985-86 als Kanzler vor. Das Jahr 1987 fand ihn wieder in seiner Heimatstadt Chicago, wo er bis zum Folgejahr als Berufungspfarrer und Missionsdirektor der dortigen Augustinerprovinz arbeitete. 1989 zog es ihn wieder nach Peru. Die nächsten zehn Jahre leitete er das Augustinerseminar in Trujillo und lehrte am Diözesanseminar Kirchenrecht. Gleichzeitig fungierte er auch als Studienpräfekt, daneben arbeitete er als Gemeindepfarrer, Gerichtsvikar und Seminardozent.

1999 ging er abermals in seine Heimatstadt zurück, um dort das Amt des Augustinerprovinzials von Chicago zu übernehmen. Zwei Jahre später wurde Pater Prevost auf dem Generalkapitel der Augustiner in Rom zum Generalprior gewählt, 2007 wiederholten seine Ordensbrüder diese Wahl. 2014 ernannte Papst Franziskus Prevost zum Apostolischen Administrator der Diözese Chiclayo im Nordwesten von Peru. Ein Jahr darauf wurde er zum ordentlichen Bischof dieses Bistums eingesetzt.
2019 ließ er sich nur widerstrebend als Mitglied in die Kongregation für den Klerus in Rom berufen. Neben seinen vielen Aufgaben als Bischof und Mitarbeiter weiterer römischer Dikasterien saß er auch noch in der Leitung der Caritas Peru.
2023 ernannte Papst Franziskus Prevost zum Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, eines der wichtigsten „Ministerien“ der römischen Kirche, denn hier wird über die Auswahl neuer Bischöfe entschieden. Noch im selben Jahr erhob ihn der Papst zum Kardinal.
Robert Prevost ist von seinem Auftreten her vor allem Seelsorger und vermeidet klare Stellungnahmen zu kontroversen Themen wie etwa zu Abtreibung oder der Segnung homosexueller Partnerschaften (siehe unten).
In Bezug auf den sexuellen Missbrauch in der Kirche ereigneten sich in seinem Umfeld einige Kontroversen. Eine spielte sich während Prevosts Zeit als Augustinerprovinzial in Chicago 1999-2001 ab. Ein wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilter Priester durfte in einem Augustinerkloster wohnen, das zudem in Nähe einer Grundschule lag. Erst später wurde der Mann entlassen und laisiert. Allerdings war der Verurteilte kein Augustiner, also hatte Prevost keine rechtliche Handhabe, zumal die „Dallas-Charta“, die den Umgang mit dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche regelt, erst 2002 eingeführt wurde.
Auch Missbrauchsvorwürfe gegen zwei Priester, die während Prevosts Amtszeit als Bischof von Chiclayo öffentlich wurden, führten zu einer öffentlichen Debatte. Kritiker behaupteten, Prevost habe die Vorwürfe der mutmaßlichen Opfer, drei Mädchen, nicht ordnungsgemäß untersucht und sogar Schweigegeld angeboten. Dem hielt die Diözese entgegen, Prevost habe alle Verfahren genau beachtet, die Mädchen zum Gespräch empfangen und die Ergebnisse der Untersuchung an das zuständige Dikasterium für die Glaubenslehre in Rom weitergeleitet.
Frauenweihe?
Ein Thema, das Reformwilligen vor allem in Westeuropa sehr am Herzen liegt, ist die Priesterweihe der Frau. Auch wenn Papst Leo beim Auftritt auf dem Balkon des Petersdoms seinem Vorgänger Franziskus von Herzen Reverenz erwies, bewertet er das Thema von einer eher konservativen Warte. Im Oktober 2023 äußerte sich der frisch ernannte Kardinal am Rande der Weltsynode in Rom, die „Klerikalisierung von Frauen“ – das heißt, ihre Weihe zu geistlichen Ämtern – würde die Probleme der Kirche nicht lösen und könnte sogar neue schaffen. Und fügte an: „Die apostolische Tradition ist etwas, das sehr klar dargelegt wurde, insbesondere wenn man über die Frage der Priesterweihe von Frauen sprechen will.“
Die katholische Kirche sei kein Spiegelbild der Gesellschaft, sie müsse „anders sein“. Natürlich würden Frauen im Vatikan zunehmend Führungsaufgaben übernehmen, aber: „Vielleicht müssen wir ein neues Verständnis oder ein anderes Verständnis von Führung, Macht, Autorität und Dienst – vor allem Dienst – in der Kirche aus den verschiedenen Perspektiven betrachten, die, wenn Sie so wollen, von Frauen und Männern in das Leben der Kirche eingebracht werden können.“
Kein Freund des Regenbogen-Kults
In Bezug auf die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare übte Papst Franziskus einen Spagat zwischen offizieller Lehrtreue und „pastoraler Vielfalt“. Das Segnungsschreiben „Fiducia supplicans“ bewertete Prevost sehr zurückhaltend. Die scharfe Ablehnung des Schreibens durch die afrikanischen Bischöfe hätten die Notwendigkeit verdeutlicht, den nationalen Bischofskonferenzen mehr Autorität in der Lehre zu geben.
„Die Bischöfe der anglikanischen Bischofskonferenzen Afrikas sagten im Wesentlichen, ‚dass unsere gesamte kulturelle Realität hier in Afrika sehr anders sei … es ging nicht darum, die Lehrautorität Roms abzulehnen, sondern zu sagen, dass unsere kulturelle Situation so beschaffen ist, dass die Anwendung dieses Dokuments einfach nicht funktionieren wird“, sagte Prevost.
Man müsse bedenken, dass es in Afrika immer noch Orte gebe, wo die Todesstrafe für Menschen verhängt werde, die in einer homosexuellen Beziehung lebten: „Wir leben also in sehr unterschiedlichen Welten.“
An anderer Stelle wurde Prevost deutlicher. Während Papst Franziskus in einem seiner Spontan-Interviews seinen berühmten „Wer bin ich, ihn zu verurteilen“-Satz in Bezug auf homosexuelle Priester äußerte, zeigte sich Prevost bei diesem Thema nicht ganz so enthusiastisch. Als er 2012 eine Ansprache vor Bischofskollegen hielt, kritisierte er westliche Medien, „weil sie Sympathie für Glaubensvorstellungen und Praktiken fördern, die im Widerspruch zum Evangelium stehen“. Dabei bezog er sich explizit auf den „homosexuellen Lebensstil“ und „alternative Familien, die aus gleichgeschlechtlichen Partnern und ihren Adoptivkindern bestehen“ sowie auf Abtreibung und Euthanasie.
Synodalkirche ja oder nein?
Eines der wichtigsten Vorhaben Papst Franziskus’ war es, die Kirche „synodaler“ zu machen. „Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ lauteten die Schlagwörter. Wobei auf dem alten Kontinent „Teilhabe“ besonders großgeschrieben wurde. Mit Kardinal Prevost hatte Franziskus stets einen sehr engagierten Unterstützer. 2023 sagte er Vatican News: „In dieser ständigen Erneuerung der Kirche, zu deren Förderung uns Papst Franziskus einlädt, liegt eine große Chance.“ Es ginge nicht nur um einen Prozess, „es geht nicht nur darum, einige Dinge zu ändern, vielleicht mehr Treffen zu veranstalten, bevor man eine Entscheidung trifft. Es ist viel mehr.“ Auf die Frage, welche Aufgabe die Bischöfe dabei hätten, antwortete der damalige Kardinal:
„Das bischöfliche Amt leistet einen wichtigen Dienst, aber dann müssen wir all dies in den Dienst der Kirche stellen -– in diesem synodalen Geist, der einfach bedeutet, dass wir alle zusammen gehen und gemeinsam suchen, was der Herr in dieser unserer Zeit von uns verlangt.“

Und die Alte Messe?
Wie in anderen Punkten auch hat sich Papst Leo XIV. nicht öffentlich zur Kontroverse um die Alte Messe geäußert. Auch zu der Zeit, als sein Vorgänger Franziskus das Herzensprojekt Benedikts nach einer Aussöhnung mit der „alten“ Messe mit dem Motu proprio „Traditiones custodes“ noch zu dessen Lebzeiten niederriss, finden sich keine öffentlichen Zitate von dem damaligen Kardinal Prevost.
Ein Pro-Life-Papst?
Für Lebensschützer interessant: Hat sich Papst Leo XIV. in der Vergangenheit auffällig in der ein oder anderen Weise zum Schutz des Menschen am Beginn und am Ende seines Lebens geäußert? Spärlich. Selbst auf US-amerikanischen Pro-Life-Seiten gibt es keine verlässlichen und verlinkbaren Informationen dazu. Besonders viel Aussagekraft dürfte diese Feststellung jedoch nicht besitzen. Der Papst ist katholisch, und die Kirche hielt hier auch unter Franziskus klaren Kurs. Hier gilt tatsächlich die journalistische Nicht-Formulierung: Es bleibt abzuwarten. Einen Hinweis darauf zumindest, dass es hier zu keinen Überraschungen kommen wird, zeigt die klare Haltung zum Schutze des Lebens der peruanischen Bischofskonferenz, die Pro-Abtreibungs-Politikern immer klar widersprochen hat.
Ein Pro-Life Aktivist schrieb auf X, der heutige Papst sei Mitbegründer der ältesten Pro-Life-Organisation an US-Universitäten gewesen.
Das US-Magazin Rolling Stone berichtete, der neue Papst habe einen X-Eintrag weiterverbreitet, der das Motto Adoption statt Abtreibung betont hatte.
Kontinuität in Sachen Migration?
Der neue Papst hat sich auch schon kritisch zum wieder aktuellen US-Präsidenten und dessen Mannschaft geäußert. Auf X teilte er im Februar einen Artikel, in dem er US-Vizepräsident J. D. Vance, der 2019 zum Katholizismus konvertierte, wegen dessen Auslegung der Lehren Jesu kritisierte.
„J. D. Vance liegt falsch: Jesus fordert uns nicht auf, unsere Liebe zu anderen zu bewerten“, lautete die Überschrift des von Prevosts Account geteilten Artikels. Diejenigen Beobachter, die dem neuen Papst Kontinuität zu den Schwerpunkten Franziskus’ attestieren, werden hier Bestätigung finden.
Im April postete der derselbe Account einen weiteren Tweet, in dem er Donald Trump wegen der Massenabschiebungen seiner Regierung kritisierte. „Sehen Sie nicht das Leid? Ist Ihr Gewissen nicht beunruhigt? Wie können Sie schweigen?“, hieß es in dem Tweet.
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Kommentare
Als Nicht-Katholikin und an Jesus gläubige Christin war es auch für mich interessant und ein Ereignis, die Wahl des Papstes zu beobachten.
Der erste Blick auf ihn und seine ersten Friedensworte wie auch der Bezug auf Jesus machten ihn mir sehr wohl sympathisch!
Dann hat er plötzlich zu Maria gebetet.
Obschon in der Bibel sehr ausdrücklich von Gott gesagt wird, wir dürfen nur zu ihm allein beten und vor allem nicht die Toten anrufen!
In diesem Moment musste ich ausschalten.
Auch dieser Papst ist natürlich katholisch und die Vermischung zwischen reinem Evangelium und dann plötzlich völlig Okkultem hat mich an der katholischen Kirche schon immer massiv erschreckt und erschüttert.
Es tut mir leid, anders kann ich es einfach nicht sagen.
@Gina F. Das steht Ihnen frei, aber wie viele biblizistisch orientierte Protestanten vergessen Sie, dass das Neue Testament nicht der Kirche vorgelagert, sondern in der Kirche entstanden und kanonisiert worden ist.
Wir beten übrigens nicht zu Maria. Wir bitten Maria, dass Sie für uns Sünder zum Herrn beten soll: ora pro nobis peccatoribus.
Spannend, erfreulich, erschreckend.
Ich wünschte, ich könnte die Zeit um zehn Jahre vordrehen, um zu wissen, was aus diesem Pontifikat geworden ist.
Dieser neue Papst strahlt etwas sehr Positives aus. Freilich, ein Papst muss Pontifex (=Brückenbauer) sein, er muss der Garant der Einheit in der Kirche sein. Das heißt, er muss die Kirche wieder behutsam auf die richtige Spur bringen. Das ist eine hohe Verantwortung. Ob dieser Papst aber dafür nicht genau der richtige Mann ist? Sicher will der Heilige Geist dem Papst alle Standesgnaden mitteilen, die er für seinen Dienst benötigt. Das Gebet der Gläubigen wird hier entscheidend sein. Denn das Gebet wirkt im Verborgenen und ist in Wahrheit die weltbewegende Macht.