„Noch nie war ein Kind so ersetzbar wie heute“

Ganz Europa erlebt einen demografischen Niedergang. Ausgerechnet das Land der „Bambini“ ist besonders betroffen. Die Fertilitätsrate in Italien lag 2024 bei nur 1,18 Kindern pro Frau, was ein neuer historischer Tiefstwert ist. Roberto Volpi, der in Italien mehrere statistische Ämter leitete, beschäftigte sich in seinem Buch „Gli ultimi italiani“ (deutsch: „Die letzten Italiener“) mit der Frage, ob die Italiener aussterben.
Im Corrigenda-Interview erklärt er, warum der Geburtenrückgang hauptsächlich kulturell begründet ist – und warum auch Einwanderung die Überalterung der italienischen Bevölkerung nicht aufhalten würde.
Herr Volpi, ist es eigentlich grundsätzlich möglich, über Demografie zu sprechen, ohne über die Familie zu reden?
Die Themen waren schon immer sehr eng miteinander verbunden, da Kinder normalerweise in Familien hineingeboren werden. Wenn man über Demografie spricht, muss man auch über den Zustand der Familien sprechen, das heißt, wie gut es ihnen geht oder umgekehrt, welche Probleme sie haben. Diese Themen gehören zusammen, weil sich die Demografie und die Familie gleichermaßen in einem kritischen Zustand befinden.
In Ihrem Buch „Die letzten Italiener“ widmen Sie ein Kapitel dem Jahrzehnt, das Italien verändert hat, also die Zeit von 1968 bis 1978: „Die zehn Jahre, die Italien erschütterten“. Ist die Entwicklung der sexuellen Freiheit proportional zur Entwicklung hin zur demografischen Krise?
Innerhalb dieser zehn Jahre etablierten sich Rechte, die heute nicht mehr infrage gestellt werden. Niemand käme zum Beispiel auf die Idee, ein Recht wie die Ehescheidung abzuschaffen, auch wenn sie zweifellos zu einer demografischen Krise geführt hat. Inzwischen handelt es sich um bereits vorhandene Rechte. Es gibt kein Zurück mehr bei bestimmten Rechten, und es ist sinnlos, sich über das, was gewesen ist, zu beschweren.
Diese zehn Jahre haben also indes – mit der Gleichberechtigung der Eheleute, dem neuen Familienrecht, der Scheidung, der Abtreibung usw. – ein neues Klima der Beziehungen zwischen Mann und Frau, innerhalb der Familie, zwischen den Ehepaaren und zwischen den Ehepaaren mit ihren Kindern geschaffen. Sie haben eine Reihe von neuen Beziehungen kreiert. Zu diesen neuen Beziehungen gehört auch eine neue sexuelle Freiheit. Das ist unbestreitbar. Die Frage ist also: Wie hat sich diese Freiheit auf die Familie und die Bevölkerung ausgewirkt?
Wie hat sie sich denn ausgewirkt?
Sexuelle Freiheit ist unveräußerlich. Jetzt geht es darum, diese sexuelle Freiheit auf eine bestimmte Art und Weise zu nutzen und nicht auf eine andere. Das zentrale Thema ist also, dass wir mit einer größeren Freiheit im allgemeinen Sinne konfrontiert werden. Wir werden allgemein mit neuen Rechten konfrontiert und im engeren Sinne mit einer neuen sexuellen Freiheit. Kann man von diesem Weg abweichen? Ich glaube nicht, dass man davon abweichen kann.
„Es gibt eine größere sexuelle Freiheit, und es gibt keinen Weg zurück“
Wenn wir von diesem Weg der erworbenen sexuellen Freiheit nicht mehr abweichen können – wie gehen wir dann in den Familien und in der Erziehung mit diesen Veränderungen am besten um?
Ich glaube, man kann und muss bei der Erziehung diesen Gegebenheiten, die vor ungefähr fünfzig Jahren begannen, Rechnung tragen. Es ist schwer, diese Art von Erziehung in die Familien hineinzutragen. Es ist grundsätzlich schwer zu erziehen – das sehen wir in den Schulen. Wir sehen auch alle, dass es zunehmend schwieriger wird zu erziehen. Die Situation ist nicht mehr so einfach wie früher, sie ist schwieriger als früher.
Dennoch möchte ich wiederholen: Es gibt kein Zurück mehr. Sexualerziehung ist also etwas, worüber diskutiert werden sollte. Man sollte verstehen, was Sexualerziehung bedeutet. Das Wesentliche ist, dass die sexuelle Freiheit jetzt unveräußerlich ist.
Die Familien stehen vor neuen Aufgaben, die Schulen stehen vor neuen Aufgaben ... Dabei ist die entscheidende Frage: Wissen wir, wie wir in Hinblick auf diese neuen Aufgaben erziehen sollen? Das ist der schwierige Punkt, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob uns diese Aufgabe gelingt, aber ich sage es noch einmal: Es gibt eine größere sexuelle Freiheit, und es gibt keinen Weg zurück.

Hat die Legalisierung der Ehescheidung eine Art Verantwortungslosigkeit nach der Heirat begünstigt, die zu gewissen Vorbehalten bei den Ehepaaren geführt hat?
Auch hier muss unterschieden werden. Welche Ehe ist gemeint? Es gibt verschiedene Arten von Ehen. Die religiöse Eheschließung ist die anspruchsvollste, denn in der religiösen Ehe gab und gibt es eine Ewigkeit, die den Bund zwischen den Eheleuten für immer besiegelt.
Es ist klar, dass diese Ewigkeit Kinder miteinschließt, denn ein „nur“ lebenslanges Zusammensein zwischen zwei Eheleuten, unabhängig davon, ob sie Kinder wollen oder nicht, ist bezogen auf die Ewigkeit in gewisser Weise ein Widerspruch in sich selbst.
So impliziert die religiöse Ehe „für immer“ das Ziel, Kinder zu haben. Mit der Scheidung fällt das alles weg. Es gibt diese Ewigkeit nicht mehr! Die Ewigkeit gibt es nur in der religiösen Ehe. In der Zivilehe existiert sie nicht.
Die demografische Entwicklung, und damit meine ich auch die Kinder, erlebte einen Aufschwung, als es im Grunde nur die religiöse Ehe und praktisch keine Zivilehe gab. Als es noch keine Ehescheidung gab, gab es fast nur religiöse Ehen.
Wenn es Scheidungen gab, dann waren es meistens Zivilehen – weil man sich scheiden lässt und dann nochmals heiratet. Man schließt nach einer Trennung eher eine Zivilehe als eine religiöse Ehe, denn eine religiöse Ehe zwischen Geschiedenen ist nicht mehr denkbar.
„Es geht nicht um Geld. Das ist alles Unsinn!“
Welche Konsequenzen hat die Etablierung der Scheidung für die religiöse Ehe?
Es kommt vor, dass die religiöse Ehe, die sozusagen auf der Ewigkeit gegründet ist, mit der Scheidung an Boden verliert und zunehmend der Zivilehe Platz macht. Aber nicht nur das. Sie beginnt auch, den Weg für De-facto-Ehen freizumachen.
Sie nimmt der Ehe ihren Wert: Vorher war die Ehe ein fast unangefochtener Wert, aber die Scheidung relativiert diesen Wert. Die Scheidung wirft also ein sehr negatives Licht auf die Ehe, insbesondere auf die religiöse Ehe. Da die Ehe – und vor allem die religiöse Ehe mit ihrem Ewigkeitswert – sozusagen die Wiege für die Kinder ist, hat die Scheidung Auswirkungen auf die demografische Entwicklung. Sie schwächt die Ehe, was sich wiederum im Abfall der Geburtenrate niederschlägt.
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Die ganze westliche Welt hat diesen Prozess gespürt und erlitten – manche Länder mehr, manche weniger. Italien spürte dies mehr als andere, da es das katholischste Land war und daher die religiöse Ehe hochhielt. Die Gegenreaktion in Italien war also besonders heftig, aber ich wiederhole: Seien Sie vorsichtig, sonst werden wir alle reaktionär. Es ist unrealistisch, ein Recht wie die Scheidung anzugreifen. Wir müssen unser Denken an neue Situationen anpassen.
Ein Unterkapitel Ihres Buches trägt den Titel „Aber es geht nicht nur um Geld“. Ist das richtig? Obwohl wir oft hören, dass Menschen keine Kinder haben, weil das Leben zu teuer sei.
Wenn es um Geld ginge … Dieses Gerede über das Geld war schon immer eine dumme Geschichte, sie war nie wahr! Wenn Geld wirklich zählen würde, würden dort, wo es Reichtum gibt, viele Kinder gezeugt werden, und dort, wo es Armut gibt, keines.
Ich nenne als Beispiel nur Italien: Abgesehen von den vergangenen Jahren wurden im Süden stets mehr Kinder in Armut als im Norden in Wohlstand hineingeboren. Nein, diese Geschichte mit dem Geld ist nicht wahr. Das ist alles Unsinn! So funktioniert das nicht.
Und wie verhält es sich nach Ihrer Meinung wirklich?
Bei der Frage, ob man Kinder will oder nicht, wie viele und so weiter, spielen andere Fragen eine große Rolle. Es sind vor allem kulturelle Fragen, in der heutigen Zeit ganz besonders.
Uns ging es noch nie so gut wie heutzutage, und die Menschen bekommen trotzdem nicht mehr Kinder, das ist unbestreitbar. Die Fruchtbarkeit und die Zahl der Kinder pro Frau nimmt nur noch ab. In Italien sind wir mittlerweile bei fast 1,1 Kindern pro Frau. In einigen südostasiatischen Ländern – den reichsten übrigens wie zum Beispiel Korea – sind wir unter dem Niveau von weniger als einem Kind pro Frau, was sogar einem Aussterben gleichkommt.
Es war also nie eine Frage des Geldes, nein. Es ist zweifellos richtig, dass wir, wenn wir in der heutigen Zeit ein Kind in die Welt setzen, relativ ruhige und gelassene Aussichten haben müssen. Aber es ist ein Ja im Sinne von: „Ich möchte ein Kind bekommen und auf eine günstigere Zeit warten.“ Dieses Kalkül ist da, es ist zweifellos da, wenn man heute Kinder bekommt. Aber der Gedanke, ein Kind zu bekommen, hat nichts mit Geld zu tun, oder zumindest nur sehr wenig. Es ist ein kultureller Gedanke, und heute ist das Kind sozusagen eine austauschbare Ware.

Worin sehen Sie dann die Gründe für den Einbruch der Geburtenraten?
Noch nie war ein Kind so ersetzbar wie heute. Ich meine damit, dass man sich heute ein großartiges und befriedigendes Leben vorstellen kann, ohne Kinder zu bekommen; ohne Kinder und indem man an etwas anderes denkt, wie beispielsweise die eigene Karriere, an ein gutes Leben voller Vergnügungen. Man denkt daran, eine Weltreise zu machen, ein schönes Auto und ein schönes Haus zu besitzen und sich einen Urlaub leisten zu können. Wie gesagt, ein Kind ist heutzutage ersetzbar. Es gab eine Zeit, in der die Erfüllung im Leben unweigerlich über die Kinder kam. Heute ist das nicht mehr der Fall. Das ist das kulturelle Element, das sich verändert hat. Früher haben wir uns im Leben durch Familie und Kinder verwirklicht. Heute kommt die Selbstverwirklichung durch den Beruf, den Erfolg, die Art und Weise, wie wir unsere Zeit verbringen und so weiter.
Ein berühmter französischer Autor sagt hierzu: „Wenn man früher einen alten Freund traf, einen Bekannten, den man seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, fragte man: ‘Bist du verheiratet, hast du Kinder?’ Heutzutage fragt man nicht mehr: ‘Bist du verheiratet, hast du Kinder?’, sondern man fragt: ‘Was machst du?, Wie geht es dir, was machst du beruflich?’“
Dieser anthropologische Wandel bedeutet, dass wir nicht mehr gebraucht werden, dass wir uns nicht mehr wie früher durch Familie und Kinder selbst verwirklichen. Oder besser gesagt, man verwirklicht sich immer noch selbst, aber man kann sich auf viele andere Arten verwirklichen und wählt diese anderen Arten immer mehr anstelle von Familie und Kindern.
„Es gibt historische Trends, die sehr schwer umzukehren sind“
Was ist dann der Aspekt des Kinderkriegens, der für junge Menschen heute von Interesse ist?
Ich bin diesbezüglich sehr verwirrt, das sage ich Ihnen ganz offen und ehrlich.
Was meinen Sie?
Lassen Sie es uns so sagen: Es gibt historische Trends, die sehr schwer umzukehren sind. Wir befinden uns jetzt in einem historischen Trend zum Geburtenrückgang. Es ist ein starker kultureller Trend. Es ist sehr einfach, kein Kind zu bekommen, aber ein weiteres Kind zu bekommen, ist heute sehr schwierig.
Es ist ein sehr schwer umkehrbarer Trend, der erst einmal seinen Tiefpunkt erreichen muss. In diesem Trend sind junge Menschen sicherlich kein starkes Glied in der Kette, sie sind gewiss ein schwaches.
Natürlich gibt es ein Element, das man ins Spiel bringen könnte, um die Situation zu verbessern: den jungen Leuten sichere Aussichten zu bieten. Die heutige Unsicherheit bezüglich der Zukunft wirkt sich bei den jungen Leuten zweifellos negativ auf die Bereitschaft aus, Kinder zu bekommen. Diese Unsicherheit dämpft oder zerstört diese Bereitschaft sogar.
An dieser Stellschraube der Zukunftssicherheit für junge Menschen muss gedreht werden. Hier bewegen wir uns auf einem riesigen Terrain, denn es geht um die Arbeit, wie der Präsident Sergio Mattarella sagte: Wir müssen die Arbeit der jungen Leute besser bezahlen, damit sie an ihren Zukunftsplänen arbeiten können.
Ist das der einzige Aspekt?
Nein, es gibt auch ein kulturelles Element. Junge Leute neigen dazu, ihr Leben nur an sich selbst gebunden zu sehen. Ihre Denkweise ist beispielsweise: „Mein Leben hängt nicht davon ab, wen ich heirate, welche Kinder ich haben werde usw. Mein Leben hängt von dem ab, was ich kann. Vielleicht werde ich nicht heiraten, vielleicht werde ich keine Kinder bekommen, aber ich kann auch so gut leben.“
Ich habe den Eindruck, dass Familien und Kinder in den Prioritäten der jungen Leute irgendwie in den Hintergrund gedrängt werden im Vergleich zu anderen Prioritäten, die zugänglicher, pragmatischer und genussbezogener sind, oder wie auch immer man es nennen mag. Ich sehe bei jüngeren Leuten keine Tendenz, Familien zu gründen und Kinder zu bekommen. Das sehe ich definitiv nicht.
Nochmal: Wir müssen sicherstellen, dass die materiellen Gegebenheiten, die das Thema Familie und Kinder unterstützen können, so günstig wie möglich sind. Das wird aber nicht ausreichen, denn es gibt einen kulturellen Horizont beziehungsweise eine Reihe kultureller Werte, die nicht auf Familie und Kinder ausgerichtet sind.
Welche Bedeutung hat die Immigration in den westlichen Ländern und insbesondere in Italien für die Demografie?
Ich änderte meine Sichtweise auf das Thema, als ich „Die letzten Italiener“ schrieb. Tatsächlich war ich mir dieses Themas sehr bewusst, aber ich dachte, dass die Migration in Bezug auf die Gegebenheiten, über die wir gesprochen haben, immer noch unzureichend für eine positivere Entwicklung der Demografie sein würde.
Die Einwanderung ist eine wichtige Stellschraube und wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wichtig sein, um alte Bevölkerungen wie die unsrige wiederzubeleben und so weiter. Aber ich dachte trotzdem, die Einwanderung wäre zweitrangig. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher …

Zur Person Roberto Volpi
Der Statistiker Roberto Volpi, 1946 geboren, war für öffentliche Statistikämter in Italien zuständig und hat das Nationale Zentrum für die Dokumentation und Analyse der Kindheit und Jugend aufgebaut. Er verbindet seine Erfahrung als Demograf mit literarischem Einsatz, wie zum Beispiel in „Gli ultimi italiani. Come si estingue un popolo“ („Die letzten Italiener. Wie ein Volk ausstirbt“) und „In quel tempo, da Gesù a Paolo attraverso i numeri del Nuovo Testamento“ („In jener Zeit, von Jesus über Paulus bis hin zu den Zahlen des Neuen Testaments“), die bislang nicht ins Deutsche übersetzt wurden.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das nicht nur für Italien gilt. In Deutschland und in den anderen Ländern gilt es sogar noch stärker. In den vergangenen Jahren ist die italienische Bevölkerung sehr wenig zurückgegangen und hat entgegen den Prognosen aller Institute – von Istat (Italienisches Nationales Institut für Statistik) auf nationaler Ebene bis zur Population Division auf internationaler Ebene – nur sehr wenig abgenommen.
Der Rückgang ist aufgrund von zwei Faktoren sehr gering. Der erste Faktor ist, dass die Sterblichkeit stark abgenommen hat. Nach der Welle von Corona-bedingten Todesfällen ging die Zahl der Todesfälle weit über alle Erwartungen hinaus zurück. Die Kluft zwischen Geburten und Sterbefällen hat sich also verringert. Denn früher gab es viel mehr Sterbefälle als Geburten, und heute gibt es zwar immer noch viel mehr Todesfälle als Geburten, aber insgesamt doch weniger als angenommen. Weniger Todesfälle bedeuten folglich weniger negative natürliche Schwankungen der Bevölkerungszahlen.
Der zweite Faktor war die positive Bilanz der Migrationsbewegung. Die Zuwanderung in Italien, wir reden von etwa 270.000, 280.000 Personen pro Jahr in den vergangenen Jahren, hat das Defizit der natürlichen Populationsveränderung, das heißt Geburten minus Sterbefälle, ausgeglichen. Dieses Bevölkerungs-Minus hat sich von selbst verringert, weil die Sterbefälle zurückgegangen sind. Die italienische Bevölkerung hat in den letzten fünf Jahren zwar abgenommen, aber nur sehr wenig im Vergleich zu den Prognosen.
„Migranten nehmen die demografischen Gewohnheiten der Italiener an“
Ist Zuwanderung dann die Lösung für die Überalterung der italienischen Bevölkerung?
Nein, sie reicht nicht aus gegen die Überalterung. Es ist es eine kränkelnde Bevölkerung! Warum? Weil es sich um eine alternde Bevölkerung handelt, in der nur sehr wenige Menschen geboren werden. Sie wird durch eine Migrationsbewegung aufrechterhalten, die die Bevölkerung zahlenmäßig unterstützt, aber sie nicht von der Überalterung gesunden lässt.
Und das ist der Kern der Sache: Sie heilt nicht die zugrunde liegende Krankheit, nämlich die niedrige Geburtenrate. Dies deshalb nicht, weil die Einwanderer in der italienischen Bevölkerung innerhalb weniger Jahre das gleiche demografische Verhalten an den Tag legen wie die Italiener. Sie kommen mit einer Fruchtbarkeitsrate von durchschnittlich bis zu drei Kindern im Land an, aber innerhalb weniger Jahre sinkt die Rate auf unter zwei Kinder.
Die Zuwanderung heilt also diese Krankheit nicht. Es gibt einerseits die Migrationsbewegung, die positiv ist, weil sie den Bevölkerungsschwund ausgleicht. Es gibt viel mehr Einwanderer als Auswanderer in Italien, und das gleicht das Ungleichgewicht zwischen Geburten und Sterbefällen aus. Das ist gut.
Andererseits heilt sie aber die Krankheit der Überalterung nicht, denn die italienische Geburtenrate stagniert trotz der Ankunft von immer mehr Einwanderern. Sie sinkt sogar! Sie liegt heute bei durchschnittlich 1,1 Kindern pro Frau und sinkt, anstatt zu steigen, weil die Einwanderer die demografischen Gewohnheiten der Italiener übernehmen. Hier liegt die Schwäche.
Es gibt also eine Stärke und eine Schwäche in der Migrationsbewegung, und die Schwäche gibt uns leider keine Hoffnung für die Zukunft.
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Kommentare
Ich muss sagen, ich verstehe dieses apodiktische "Es gibt kein Zurück" oder "Wir können nicht zurück hinter..." nicht. Welche Autorität darf so etwas einfach festlegen? Man kann und soll doch einen Irrweg korrigieren, wenn man ihn als solchen erkannt hat. Für mich impliziert die Wendung "Wir können nicht zurück hinter...", dass der Zeitgeist und die Geschichte immer nur eine Richtung hat. Also alles immer mehr in Richtung liberaler und linker. Aber das ist ja nicht so. Es gibt in der Geschichte Zeiten moralischer Dekadenz und von Sittenstrenge, das ist eher zirkulär. Wenn man in Bezug auf moralische Zügellosigkeit sagt "Wir können dahinter nicht zurück", dann behauptet man ja auch indirekt, dass diese Zügellosigkeit ein unbestrittener Fortschritt wäre.
Um ein Beispiel aus einem anderen Bereich zu nehmen. In der Theologie kann man z. B. hören: "Wir können nicht zurück hinter Rahner". Auch hier muss man sich fragen: Wer sagt das eigentlich? Und warum machen sich die, die so sprechen, nicht die Mühe, das auch zu begründen? Das ist so, als läge allein schon in der Vehemenz der Behauptung die argumentative Kraft. Wendungen dieser Art mögen wissenschaftlich klingen. In Wahrheit verhindern sie oft Diskurse, die bitter nötig wären. Die Praxis der Wissenschaft zeigt doch auch: Die Wissenschaft wird von denen vorangebracht, die sich trauen, bestimmte Paradigmen zu durchbrechen und neu zu denken.
@EUM Sehr gut beobachtet! Oder, um es mit Friedensreich Hundertwasser zu formulieren: „Wenn man vor dem Abgrund steht, dann ist der Rückschritt ein Fortschritt“.
Ungemein viel Geschwafel, und dabei drückt sich der Herr um die einfache Erkenntnis "Keine Kinder = keine Zukunft". All die Errungenschaften der letzten 50 Jahre mögen genial, unumkehrbar und ganz wichtig und gut sein, sie haben, im Wortsinn, keine Zukunft. Im übrigen ist es in Italien so, dass Geburt und alle Kinderarztbesuche aus eigener Tasche bezahlt werden müssen, staatliche Kindergärten eine Verwahranstalt sind (ein Raum, alle Altersgruppen zusammen, vom Säugling bis zum Schulkind) und private Kindergärten sowie private Schulen über 1.000 € im Monat kosten, wenn sie billig sind. Kinder kann man sich in Italien, als normaler Mensch, schlicht und ergreifend nicht leisten. Auch davon in dem ganzen Interview kein Wort.
@Nachdenklich Jede italienische Familie mit drei und mehr Kindern beweist Ihnen das Gegenteil. Ja, natürlich können Sie dann nicht im Zentrum von Mailand wohnen, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Man merkt es an solchen Ansprüchen (Privatschule etc.), was heute der Unterschied zu früher ist.
Er der Autor sagt es sehr gut die Gesellschaft hat sich gewandelt, keiner "muss" mehr heiraten und Kinder haben keine Ehe "muß" ewig halten es gibt Freiheit zu wählen
und das ist wunderbar
Leider werden Frauen die sich bewußt gegen Kinder entscheiden immer noch zum Teil schief angesehen
Was der Autor sehr gut zeigt es gibt kein zurück das ist beruhigend
@Thomas Kovacs Die Rede vom „gesellschaftlichen Wandel“ ist nichts als eine sinnfreie Plattitüde ohne inhaltliche Aussagekraft. Auch 1933 war ein Jahr des grundlegenden „gesellschaftlichen Wandels“ in Deutschland. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler führte zum Ende der Weimarer Republik und zum Beginn des „Dritten Reichs“. Dieser Wandel manifestierte sich in zahlreichen Bereichen, darunter Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Auch damals glaubten viele, dass es „kein Zurück“ hinter diese Entwicklung geben würde.
Das sollte nicht der einzige Grund sein, warum man Zuwanderung als Ersatz fürs Kinderkriegen als Augenwischerei ablehnen sollte. Zuwanderung verändert das Land nachhaltig. Ein Italien der Zuwanderer wäre kein Italien mehr wie wir es kennen und schätzen.
Ansonsten ein sehr informatives Interview. Danke dafür!
Wir werden in der Tat nicht zurückkommen hinter die Entwicklung, daß ein Leben mit Kindern nur eine von mehreren Optionen ist.
Wir können aber Menschen, die sich für Kinder entschieden haben, ermöglichen, nicht nur zwei, sondern vier oder fünf Kinder zu haben. Und das ist in Italien wie in Deutschland sehr schwierig.