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Abschaffung von Paragraf 218 StGB?

Warum gerade bei Abtreibungs-Umfragen Zweifel angebracht sind

Rote und grüne Politiker und ihre medialen Claqueure kriegen sich gerade nicht mehr ein: „Es gibt eine große Mehrheit für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – und zwar über Partei-, Alters- und Religionsgrenzen hinweg“, schrieb die Grünen-Bundestagsabgeordnete Schahina Gambir auf X. Ihre Parteigenossin und Justizministerin des Freistaats Sachsen, Katja Meier, notierte: „Es gibt eine gesellschaftliche Mehrheit, die auch die CDU zur Kenntnis nehmen und der Reform des Paragrafen 218 zustimmen sollte.“

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Der Linken-Bundestagsabgeordnete Dietmar Bartsch verstieg sich gar zu der Aussage „Da sind wir ‘Ossis’ an der richtigen Stelle vorn“ und verzierte den X-Eintrag mit einem Muskel-Smiley.

Die Entzückung der Politiker resultiert aus Umfragen, die gerade von vielen Medien rauf und runter zitiert werden. Ihnen zufolge ist eine große Mehrheit der Deutschen für die Legalisierung von Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen. Genau das also, was Grüne, SPD und Linke in einem Gruppenantrag im Bundestag gerade fordern – unter anderem aus wahltaktischen Gründen.

Doch bei Umfragen ist stets Vorsicht geboten, das lernt man schon in der Schule (oder doch nicht, oder viel zu wenig?). Wer hat die Umfrage in Auftrag gegeben? Wer hat sie mit welcher Methodik durchgeführt? Ist die Stichprobe repräsentativ? Sind die Fragen suggestiv?

In der heutigen, besonders schnelllebigen Medienwelt geht solche Vorsicht meistens unter. Die Schlagzeilen dominieren. Und Grafiken, die Balken zeigen, wie „die Deutschen“ angeblich ticken. Corrigenda hat zwei Umfragen genauer unter die Lupe genommen. Die eine stammt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), die andere von RTL/n-tv. Beide sollen angeblich belegen, wie groß die Mehrheit ist, die Paragraf 218 StGB abschaffen möchte.

Das Familienministerium beauftragt ein fragwürdiges Institut

Die taz, Amnesty International oder die Heinrich-Böll-Stiftung: Sie alle zitierten in den vergangenen Monaten die Erhebung des BMFSFJ. Diese lieferte ihnen Munition für ihre Pro-Abtreibungs-Agenda. 80 Prozent der Befragten gaben der Umfrage zufolge an, sie hielten es für falsch, dass Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen rechtswidrig sind. Das ist deutlich. Aber ist es auch repräsentativ?

Dazu muss man das eingesetzte Meinungsforschungsinstitut, die Fragestellung sowie die Stichprobe einem kritischen Blick unterziehen. Das Bundesfamilienministerium beauftragte das Unternehmen Civey. Dieses führt, wie es auf Nachfrage von Corrigenda bestätigt, ausschließlich Onlineumfragen durch. Damit die Stichprobe möglichst repräsentativ ist, wird ein ausgeklügeltes Verfahren angewandt. Umfrageteilnehmer werden über Onlinemedien wie E-Mail-Anbietern (GMX, web.de u. a.) oder Nachrichtenportale (t-online, Funke-Mediengruppe, Watson, Focus Online u. a.) rekrutiert.

Die Ergebnisse dieser Umfrage des BMFSFJ werden von linken Politikern, Medien und Organisationen ohne kritische Prüfung weiterverbreitet
Die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen von vor einem Jahr ergab ein ganz anderes Bild

Bei den dort angezeigten Abstimmungsboxen, die vielen Mediennutzern bereits einmal untergekommen sein dürften, handelt es sich jedoch nicht um die Umfragen, sondern um ein PR-Instrument zur Rekrutierung von Umfrageteilnehmern. Ehe ein Nutzer als Stimme in einer repräsentativen Umfrage teilnimmt, muss er weitere Fragebögen ausfüllen und wird einer regelmäßigen Prüfung unterzogen, zum Beispiel, ob seine Abstimmungen kohärent sind oder ob seine persönlichen Angaben stimmen.

Dennoch beinhaltet das im Fachjargon als Selbstrekrutierung bezeichnete Verfahren Fehlerpotenzial.

Mag die Selektion der laut Civey rund eine Million großen Grundgesamtheit noch so gewissenhaft sein: Was ist, wenn die sich zur Verfügung gestellten Personen schon eine politische Schlagseite haben? So ist bekannt, dass politisch eher linkstehende Menschen mehr Genugtuung aus politischem Aktivismus ziehen als konservative. Vielleicht also klicken grundsätzlich deutlich mehr Personen mit linker Einstellung auf die Werbe-Umfragetools?

Wie Civey arbeitet

Civey ist ein relativ junger Spieler im deutschen Meinungsforschungsbetrieb. Seit 2015 ist das Unternehmen mit Sitz in Berlin aktiv. Bereits von Anfang an gab es Kritik an dessen Methodik. Civey tat dies als Argwohn gegenüber der neuen Konkurrenz ab. Doch Ende Februar dieses Jahres beendeten der Spiegel und Civey ihre sechsjährige Zusammenarbeit. Eine Spiegel-Sprecherin sagte dem Business Insider, man stehe zur bisherigen Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut, aber: „In einem zunehmend polarisierten Umfeld müssen wir Umfragen besonders sorgfältig einsetzen. Der Spiegel hat deshalb seine Standards für den Umgang mit Studien überarbeitet.“ Nach überwältigendem Vertrauen klingt das nicht.

 

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Ein Meinungsforschungsexperte, der seinen Namen aufgrund von möglichen beruflichen Folgen in diesem Zusammenhang nicht in der Presse lesen möchte, sagte gegenüber Corrigenda, Civey sei besonders günstig – und das schlage sich in der Qualität der Umfragen nieder. Die Selbstrekrutierung bei Online-Umfragen sei definitiv ein Problem. Der Statistiker Gerd Bosbach von der Hochschule Koblenz, ein Experte für Statistik-Missbrauch, erklärte 2018 im Deutschlandfunk: „Leute, die sich dort anmelden, machen einen großen Aufwand. Denen ist es halt wichtig, dass ihre Meinung Einfluss nimmt. Und das ist schon ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Bevölkerung. Also insofern ist das schon mal von der Warte her nicht repräsentativ.“

Zwei Umfragen zum selben Thema, zwei eklatant unterschiedliche Ergebnisse

Aber auch die Fragestellung ist problematisch. Das Familienministerium fragte: „Halten Sie es eher für richtig oder falsch, dass im deutschen Recht ein Schwangerschaftsabbruch, zu dem sich eine ungewollt schwangere Frau nach einer Beratung entscheidet, als rechtswidrig gilt?“ Problematisch ist das deshalb, weil die juristisch komplexe Lage beim Thema Abtreibung selbst für ungeplant Schwangere unklar ist.

Das belegen Zahlen und Erfahrungen der europaweit größten nichtstaatlichen Beratungsorganisation für Schwangere in Not, Profemina, derzufolge selbst bei Schwangeren rechtliche Unklarheiten herrschen, die in der Beratung oder auf der Website nachgefragt würden. Es ist davon auszugehen, dass Unbeteiligte deutlich weniger juristisches Wissen rund um Paragraf 218 StGB mitbringen.

Weil ein großer Teil der Menschen „rechtswidrig“ mit „Verboten“ oder „Strafen“ in Verbindung bringen dürfte, macht es einen Unterschied, ob man als Fragesteller die Straffreiheit bei Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen erwähnt oder – wie das BMFSFJ – eben nicht.

 

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Dass die Frage möglicherweise missverstanden wurde, könnte ausgerechnet eine andere Umfrage belegen. Im vergangenen Jahr beauftragte das ZDF-Magazin „frontal“ die Forschungsgruppe Wahlen (Download-Link) mit einer repräsentativen Umfrage. Gefragt wurde, ob eine Abtreibung weiterhin als Straftat gelten solle, aber ausdrücklich mit dem Zusatz, dass diese Straftat unter bestimmten Voraussetzungen nicht geahndet wird. Und siehe da: 54 Prozent bejahten dies. Nur 36 Prozent plädierten für die Abschaffung von Paragraf 218.

Für eine solch eklatante Differenz zu den 80 Prozent in der BMFSFJ-Umfrage wäre ein plötzlicher Meinungsumschwung großer Bevölkerungsteile vonnöten. Dass dieser eingetreten sein könnte, entbehrt jeglicher Plausibilität. Auch eine weitere Frage in der Umfrage ist ähnlich problematisch: nämlich ob Frauen „in Zukunft in Deutschland die Freiheit haben (sollten), über einen Abbruch der Schwangerschaft bis zur 12. Woche zu entscheiden“. So, als ob sie diese Freiheit aktuell nicht hätten.

Von Corrigenda auf die möglicherweise missverständlichen oder gar irreführenden Fragestellungen angesprochen, antwortete eine BMFSFJ-Sprecherin lapidar: „Die repräsentative Meinungsumfrage wurde nach den Standards der empirischen Sozialforschung durchgeführt.“

Das Vorwissen spielt eine große Rolle

Bei der „Trendbarometer“-Umfrage von RTL/n-tv, die vom Institut Forsa durchgeführt wurde, sind ebenfalls Zweifel angebracht. „Große Mehrheit unterstützt Legalisierung von Abtreibungen“, titelte etwa n-tv. Im Text wird dann die Fragestellung zitiert, wonach 74 Prozent der Befragten es richtig fänden, „wenn ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ohne Einschränkungen erlaubt wäre“. Im RTL-„Nachtjournal“ war hingegen von „Sollten Schwangerschaftsabbrüche erlaubt werden?“ die Rede.

Corrigenda fragte bei Forsa nach und erhielt Antwort. Demnach lautete die an die Befragten gerichtete Fragestellung: „Bisher gelten Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland bis auf einige Ausnahmefälle grundsätzlich als rechtswidrig. Nun gibt es den Vorschlag, einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ohne Einschränkungen zu erlauben. Fänden Sie das richtig oder nicht richtig?“

74 Prozent der Befragten bejahten diese Frage. Doch auch hier wird im Gegensatz zu jener der Forschungsgruppe Wahlen die Straffreiheit nicht erwähnt. Ebenso bemängelt werden kann die Formulierung „ohne Einschränkungen“.

Die Frage nach der rechtlichen Regelung von Abtreibung ist wie bereits erwähnt ungleich komplexer als die nach der Präferenz von Hähnchen oder Rind. Wissen die Befragten, wie viele Abtreibungen es jährlich gibt und was die Gründe dafür sind? Kennen sie sich mit den rechtlichen Feinheiten aus? Mit der – wie ja auch Abtreibungsbefürworter kritisieren – widersprüchlichen Konstellation, dass eine Sache rechtswidrig, aber gleichzeitig straffrei ist? Wissen sie, dass es in den vergangenen 15 Jahren nur eine einzige Frau gab, die aufgrund Paragraf 218 StGB gerichtlich verurteilt worden ist? Und das bei im gleichen Zeitraum 1,5 Millionen vollzogenen Abtreibungen!

Mit Umfragen wird Politik gemacht

Der emeritierte Statistik-Professor Bosbach kritisierte seinerzeit: „Der normale Bürger hat das statistisch-empirische Hintergrundwissen nicht, und er bekommt es auch nicht beigebracht, weil die, die Meinungsergebnisse bekanntgeben, wollen, dass ihr Ergebnis einfach so auch akzeptiert wird. Die haben gar kein Interesse daran, die Ungenauigkeiten der Ergebnisse, die Verzerrungen der Ergebnisse darzustellen.“

Daran hat sich seither nichts geändert. Vor allem trifft dies bei jenen Themen zu, in denen sich linke Politiker und Medien in einer Sache vollkommen einig sind und mit aktivistischem Furor gegen ein vermeintliches Unrecht zu Felde ziehen. Verantwortung und Wahrhaftigkeit sind dabei nur hinderlich. Weil die Zahl der Politik-Umfragen in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat und mit deren Ergebnissen auch Politik gemacht wird, hat dies auch Folgen für die politische Willensbildung und die Demokratie. Man denke nur an Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die politische Entscheidungen laut Insidern oft von Meinungsumfragen abhängig machte – mit fatalen Folgen.

 

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