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Berichterstattung über Amoktat

Ungeborene: Und plötzlich zählen sie doch

Ungeborene sind keine Menschen. Eine krasse Aussage. Und eine falsche. Doch sie wird getätigt. Jedes Mal, wenn über das Thema Abtreibung debattiert wird. Natürlich äußern sich die meist aktivistischen Urheber nicht so direkt. Sie sprechen verklausuliert von „Schwangerschaftsgewebe“ oder von der „Fruchtblase“, die bei einer Abtreibung „ausgestoßen“ würde. Doch sie meinen Ungeborene, denen sie mit dieser Wortwahl das Menschsein absprechen.

Oder sie sitzen in Redaktionen und texten Überschriften wie „Schwangerschaftsabbrüche sind ein Menschenrecht“, „Streichung von Paragraph 219a: Hört auf, von toten Babys zu reden“ und „Auch Paragraph 218 muss fallen“. Laut Paragraph 218 des Strafgesetzbuches sind Abtreibungen in Deutschland mit Ausnahmen strafbar. Paragraph 219a stellte Werbung für Abtreibung unter Strafe, er wurde im vergangenen Jahr vom Bundestag abgeschafft.

Um es kurz zu machen: In der veröffentlichten Meinung haben ungeborene Menschen einen schweren Stand, wenn sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Doch vor wenigen Tagen scheint sich diese Ansicht wie von Zauberhand gewandelt zu haben. Der Anlass war ein tragischer: Ein Amokläufer schoss in einem Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas, einem sogenannten Königreichssaal, in Hamburg um sich, tötete sieben Menschen und richtete sich anschließend selbst.

Das Spiel mit den Emotionen

Für Medien bedeuten solche Taten sogenannte Großlagen. Zahlreiche Journalisten befassen sich mit dem Hergang, den Ursachen, den Folgen. Doch um den Ablauf dieser abscheulichen Tat oder um die kruden Ansichten des verdächtigen Täters, der früher selbst Mitglied der Zeugen Jehovas war, soll es an dieser Stelle nicht gehen. Zahlreiche Journalisten leisten hier solide Aufklärungsarbeit.

Beachtenswert ist aber, mit welchen Überschriften mehrere Medien im Wettkampf um Leser ihre Artikel versehen haben. Auffallend oft war dort von einem Ungeborenen die Rede. Denn unter den Opfern der Amokattacke befand sich eine Frau in der 28. Schwangerschaftswoche. Die ziemlich linke Frankfurter Rundschau titelte: „Amoklauf in Hamburg: Was über die Opfer bekannt ist – auch ungeborenes Kind tot“. Der Nachrichtensender n-tv, dessen Beitrag in sozialen Medien weite Verbreitung fand, schrieb: „Ungeborenes Kind unter den Todesopfern von Hamburg“. Auch RTL, die Berliner Morgenpost, die Stuttgarter Nachrichten und viele weitere Sender und Blätter betonten den traurigen Umstand schon in den Überschriften, dass auch ein Ungeborenes den Tod fand.

Vorschau Ungeborene Screenshots
Vor wenigen Monaten (unten) haben n-tv und Frankfurter Rundschau noch ganz anders kommentiert, jetzt (oben) scheinen ihnen Ungeborene plötzlich wichtig zu sein

Medien versuchen, mit Emotionen zu arbeiten. Emotionen erzeugen Bilder in den Köpfen der Leser. Mitleid, Wut, Liebe, Trauer – Beiträge, die Gefühle auslösen, kommen gut an oder sorgen für Reaktionen. Genau deshalb betonten viele Journalisten das ungeborene Kind in der Überschrift. Weil es eine ohnehin schon tragische Tat noch tragischer macht. Weil der natürliche Instinkt den meisten Menschen doch sagt: Ungeborene sind Menschen, sind aus demselben Fleisch und Blut, sind lange vor der 28. Schwangerschaftswoche schon mit niedlichen zarten Händchen und Füßchen ausgestattet.

Warum gilt dieser emotionale Gedanke nicht auch in der Abtreibungsdebatte?

Doch warum gilt dieser menschliche, ja, auch emotionale Gedanke in der Medienlogik nur bei einer fürchterlichen Tat wie der in Hamburg? Warum gilt der Wert des ungeborenen Lebens nicht generell? Die Frankfurter Rundschau veröffentlichte vergangenes Jahr einen Kommentar mit der oben erwähnten Überschrift „Auch Paragraph 2018 muss fallen“. Und n-tv empörte sich noch im Juni: „Streichung von Paragraph 219a: Hört auf, von toten Babys zu reden“. Und nun veröffentlichte der Sender eine Meldung mit der bereits zitierten Überschrift „Ungeborenes Kind unter den Todesopfern von Hamburg“.

Aha, dann ist das Ungeborene im Bauch also doch ein Baby, ein Mensch also. Diese auffallende Dissonanz dürfte den meisten Medienmachern wahrscheinlich nicht auffallen. So bleibt nur zu hoffen, dass möglichst vielen Lesern der Widerspruch ins Auge fällt und sie für die nächste Kommentarwelle pro Abtreibung sensibilisiert sind und Fragen stellen.

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Kl.Peter
Vor 1 Jahr 1 Monat

Richtig gut Lucas, gefällt mir gut

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Kl.Peter
Vor 1 Jahr 1 Monat

Richtig gut Lucas, gefällt mir gut