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Wahlausschuss für Frauke Brosius-Gersdorf

„Lebenskritisch“, „ultralinks“ – und trotzdem empfohlen

Nun ist gekommen, was viele befürchtet hatten: Der Richterwahlausschuss des Bundestags hat am Montagabend der aktivistischen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf seine Empfehlung für die Wahl als Bundesverfassungsrichter ausgesprochen. In geheimer Abstimmung votierten acht der zwölf Ausschussmitglieder für die Kandidatin, drei stimmten mit Nein, ein Abgeordneter enthielt sich. Damit kann der Bundestag am Freitag im Plenum die Potsdamer Rechtsprofessorin als Bundesverfassungsrichterin wählen. Diese Abstimmung wird ebenfalls in geheimer Abstimmung vorgenommen werden.

Der Wahlausschuss besteht aus fünf Abgeordneten von CDU/CSU, drei von der AfD, zwei von der SPD und je einem von Grünen und Linkspartei. Für die Wahl Brosius-Gersdorfs waren acht der zwölf Stimmen nötig. Gegen die fünf Unions-Stimmen kann also kein Kandidat die Zweidrittelmehrheit erreichen. 

Ungewöhnlich war, dass sich die Richterkandidaten den Abgeordneten persönlich vorstellten.

Eigentlich gilt in der Union ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei. Für die Zweidrittelmehrheit im Richterwahlausschuss ist das Votum des Linken-Abgeordneten auch nicht nötig gewesen.

Bei der Abstimmung im Bundestag am Freitag werden jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit auch mehrere Stimmen der Linkspartei nötig sein, um auf die geforderten zwei Drittel zu kommen. Die Zweidrittelmehrheit gilt für die anwesenden Abgeordneten bzw. die abgegebenen Stimmen. Die Zwei-Drittel-Hürde soll eigentlich die Besetzung mit radikalen Juristen verhindern.

Jens Spahn wirbt in Fraktion für Zustimmung

Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte zuvor laut Reuters die Abgeordneten in der Fraktionssitzung am Montagnachmittag dazu aufgerufen, Brosius-Gersdorf zu wählen. Als Kompromiss habe man sich mit der SPD verständigt, dass die Juristin nicht Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden soll.

Dass die Union nicht den Willen hatte, von ihrem Koalitionspartner den Rückzug der Personalie zu fordern, ist insofern brisant, als CDU/CSU erst vor wenigen Monaten ihren Vorschlag zurückgezogen hatten, weil die Grünen ihn für zu konservativ befanden. Auch in der Vergangenheit waren Richterkandidaten immer wieder zurückgezogen worden, wenn sie von anderen Parteien für nicht wählbar befunden worden waren.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hatte in der Augsburger Allgemeinen seine Unterstützung für Brosius-Gersdorf damit begründet, dass es um „die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie“ gehe.

Auch in der Union hochumstritten. Wen wundert’s?

Die Personalie Brosius-Gersdorf ist auch in der Union hochumstritten. Mehrere Abgeordnete der Fraktion hatten gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung scharfe Kritik geäußert: Die von der SPD vorgeschlagene Juristin sei „lebenskritisch“, „ultralinks“ und „polarisierend“. Auch mehrere Landesminister zeigten sich gegenüber dem Blatt – ebenfalls anonym – skeptisch. Einzig die Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig zeigte Gesicht. Auf X schrieb sie: „Unwählbar!“

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Die Anonymität hat einen Grund: Wie Corrigenda aus Unionskreisen bestätigt wurde, ist der Fraktionsspitze der Koalitionsfrieden mit der SPD lieber, als eine progressive und aktivistische Richterin am Bundesverfassungsgericht zu verhindern. Bloß nicht so werden wie die zerstrittene Ampel! Von unten jedoch kommt Druck. Zahlreiche Bürger schrieben ihren Unions-Abgeordneten E-Mails.

Wen wundert es? Brosius-Gersdorf ist für die Legalisierung von Abtreibung. Den von Rot-Grün initiierten und letztlich gescheiterten Gesetzentwurf zur Legalisierung der vorgeburtlichen Kindstötung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen befand sie im Rechtsausschuss für verfassungsrechtlich ohne weiteres zulässig (Corrigenda berichtete).

„Gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt gilt“

„Dass der Gesetzentwurf den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig stellt, ist grundgesetzkonform“, sagte sie während der Anhörung am 10. Februar 2025 in Berlin. Zwar stünden auch dem Embryo Grundrechte zu, „insbesondere das Grundrecht auf Leben“, aber doch auch wieder nicht: „In der Gegenüberstellung und Gewichtung mit den Grundrechten der Schwangeren tritt das Lebensrecht des Embryos in der Frühphase der Schwangerschaft aber zurück“ – und damit nach ihren Vorstellungen gerade in dem zartesten Lebensabschnitt, in dem das Ungeborene den besonders energischen Grundrechteschutz genießen müsste. Brosius-Gersdorf:

„Ob dem Embryo und später Fetus der Schutz der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes zukommt, das ist in der Tat in der Verfassungsrechtswissenschaft sehr umstritten. Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“

Doch nicht nur in Sachen Abtreibung äußerte sich Brosius-Gersdorf links-progressiv. Das Grundgesetz sollte gegendert werden, Landeslisten von Parteien im Reißverschlussprinzip geschlechterparitätisch aufgestellt werden, und Rechtsreferendare sollten ein muslimisches Kopftuch tragen dürfen. Besonders brisant: Ein Verbotsverfahren gegen die AfD hält sie für ein „ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“. Ebenfalls befürwortete die Juristin eine Corona-Impfpflicht.

Auch zweite SPD-Kandidatin hat eine deutliche Schlagseite

Auch die zweite von der SPD-Bundestagsfraktion vorgeschlagene Richterkandidatin, die Münchner Jura-Professorin Ann-Katrin Kaufhold, ist von dem Wahlausschuss empfohlen worden. Sie erhielt neun Ja- und drei Nein-Stimmen. Die an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) lehrende Staats- und Verwaltungsrechtlerin Kaufhold zog es bisher vor, unter dem Radar zu bleiben. So ist über sie öffentlich wenig bekannt, auch nichts über ihre verfassungsrechtliche Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch im Allgemeinen oder zu Abtreibungen in Früh- oder Spätphase der Schwangerschaft.

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Ihre Interviewäußerung mit dem Hausblatt ihrer Universität, Karlsruhe fälle seine Urteile zwar unabhängig, „aber wenn die Umsetzung auf massiven Widerstand stößt, ist das auf Dauer nicht durchhaltbar“, lässt darauf schließen, dass sie ihrer möglichen künftigen Richterskollegin Brosius-Gersdorf bei der höchstgerichtlichen Schleifung des Lebensschutzes nicht in den Rücken fallen wird.

Früher wurde sie von der elitären „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ mit Stipendien unterstützt. Sie gilt als Schülerin des früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle, dessen Weg ans Gericht damals ebenfalls von der SPD gefördert worden war. Es gibt Indizien, die Kaufhold als „Klimaradikale“ erscheinen lassen. Unsere Quellen aus dem Umfeld der LMU charakterisieren sie als wahrnehmbar linksgerichtet.

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So links, dass sie schon Ablehnung erfuhr von Persönlichkeiten, die gleich ihr von der SPD nominiert worden waren: Als Mitglied der Expertenkommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ des Landes Berlin zeigte sie, dass sie es mit dem Recht auf Eigentum auf sozialistische Weise hält: Die Kommission kam 2022 nach Beratungen zu dem Schluss, dass die Forderungen der linken Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ verfassungsgemäß seien – was sogar den ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, Michael Eichberger, auf die Palme brachte. Eichberger brachte zusammen mit den zwei von der SPD nominierten Kommissionsmitgliedern, Christian Waldhoff und Wolfgang Durner, ein Sondervotum ein, in dem er Kaufholds Auffassung als „nicht vereinbar mit der Verfassung“ verwarf.

Die heute 48-Jährige leitet die „Klimaschutz“-Forschungsgruppe „The Institutional Architecture for a 1.5 °C World“ an ihrer LMU. In Interviews sprach sie sich für ambitionierten „Klimaschutz“ mit staatlichen Eingriffen in das Leben der Bürger und das Wirtschaften von Unternehmen aus: etwa mit der Aussage, dass es „nicht gut“ für den „Klimaschutz“ laufe und eine „gesamtgesellschaftliche Transformation“ notwendig sei, bei der „an allen Stellschrauben“ zu drehen sei. Pikant: In diesem Zusammenhang unterstrich sie die Rolle von Gerichten, die wegen ihrer Unabhängigkeit unpopuläre, aber ihrer Meinung nach notwendige Klimaschutzmaßnahmen durchsetzen könnten. Gerichte hätten deutlich gemacht, dass „Klimaschutz auch eine menschenrechtliche Dimension“ habe.

Der von der Unionsfraktion vorgeschlagene Bundesarbeitsrichter Günter Spinner erhielt zehn Ja-Stimmen und kann somit ebenfalls am Freitag vom Bundestag zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt werden. Die AfD-Spitze hatte zuvor angekündigt, für ihn zu stimmen. Ein Abgeordneter votierte mit Nein, einer enthielt sich.

Warum ist die Entscheidung so wichtig?

Karlsruhe füllt das normativ eher wenig aussagekräftige Grundgesetz mit Werten. „Das Grundgesetz muss mehr noch als jedes andere Gesetz in seinem Inhalt entwickelt und konkretisiert werden. Diesem Konkretisierungsvorgang wohnt dabei zwangsläufig etwas Schöpferisches inne“, sagte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, 2018.

Dabei macht das oberste Verfassungsgericht zwangsläufig auch Politik. Die Debatte darüber ist nicht neu. „Das Grundgesetz gilt nunmehr praktisch so, wie das Bundesverfassungsgericht es auslegt, und die Literatur kommentiert es in diesem Sinne“, schrieb der vor fünfzig Jahren verstorbene Staatsrechtler Rudolf Smend bereits 1962.

Anders als im angelsächsischen Raum ist die Judikative nach kontinentaleuropäischer Tradition nicht an die eigene Rechtsprechung gebunden. Das heißt: Sollte es noch einmal zu einem Entscheid über den Abtreibungsparagrafen 218 Strafgesetzbuch kommen, könnte ein neues Bundesverfassungsgericht gänzlich anders entscheiden als noch 1975 und 1993.

Brosius-Gersdorf ist 54 Jahre alt und könnte daher ebenso wie Ann-Katrin Kaufhold zwölf Jahre Bundesverfassungsrichterin sein. Die Amtsperiode ist auf zwölf Jahre begrenzt oder wenn das Alter von 68 Jahren erreicht ist.

Die Abtreibungsbefürworterin kann damit absehbar über mehrere Jahre der Grundgesetzauslegung ihren Stempel aufdrücken. Damit könnten weitere mögliche Entscheidungen wie etwa zur Sterbehilfe, zur Abtreibung, zur Leihmutterschaft oder zu sogenannten Kinderrechten entgegen christlicher Moral fallen.

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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, die Zustimmung der Fraktion der Linken bei der Abstimmung am Freitag sei zwingend notwendig. Das ist falsch. Da es auf die tatsächlich abgegebenen Stimmen ankommt, um auf die Zweidrittelmehrheit zu kommen, genügen einige von ihnen.

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