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Frauke Brosius-Gersdorf

Wird diese Abtreibungs-Befürworterin Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts?

Das Bundesverfassungsgericht genießt höchstes Ansehen in der deutschen Bevölkerung. Mit 80 Prozent vertrauen den Verfassungshütern deutlich mehr Bürger als anderen staatlichen Institutionen. Die Verfassungsrichter gelten als kompetent und neutral, über den politischen Dingen stehend sozusagen. Dabei macht Karlsruhe auch Politik.

Zumindest lautet so ein Vorwurf, mit dem das Gericht schon seit seiner Gründung 1951 konfrontiert ist. Der FDP-Politiker und Jurist Thomas Dehler, von 1949 bis 1953 Bundesjustizminister, sprach 1953 im Bundestag gar von einer „Überregierung“ und einem „Überparlament“, wie das Verfassungsgericht von manchen bezeichnet werde. „Es ist die Meinung, das Bundesverfassungsgericht stehe über der Verfassung, mit der Folge, dass am Ende die politische Willensentscheidung der Mehrheit der Richter die wirkliche Verfassung gestalten würde, unter der wir zu leben hätten.“

In derselben Rede brachte er die Problematik auf den Punkt: „Wenn man Wächter der Verfassung einsetzt – quis custodiet custodes ipsos, wer bewacht am Ende die Wächter des Staates?“

Zwar äußerte Dehler ausdrücklich, dies sei eine falsche Meinung. Doch der Vorwurf ist seitdem nicht mehr aus der Welt zu kriegen. Und es gibt gute Argumente dafür, dass das Gericht „Politik macht“. Die Münsteraner Staatsrechtlerin Michaela Hailbronner erklärte dazu vor vier Jahren im Deutschlandfunk:

„Dass das Bundesverfassungsgericht in den politischen Prozess eingreift, ist normal und gewünscht. Das ist erst einmal völlig in Ordnung. Die Frage ist eben, wie bestimmt man diese Grenze. Da kann man jetzt bei jedem einzelnen Urteil darüber diskutieren, legt das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz richtig aus oder falsch? Da haben die Leute und auch die Juristinnen und Juristen übrigens unterschiedliche Meinungen.“

Auch beim Thema Abtreibung bietet das Grundgesetz Interpretationsspielraum

Ein Thema, drei Juristen, fünf Meinungen – so lautet ein geflügeltes Wort in der Juristerei. Und leider gibt das Grundgesetz genügend Interpretationsspielraum, um unterschiedliche Meinungen vertreten zu können. Und das sogar bei grundlegenden, ja lebenswichtigen Themen wie dem Schwangerschaftsabbruch. Die grundgesetzlich garantierte Achtung der Menschenwürde beispielsweise gilt traditionell und nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für das ungeborene Leben, weshalb es die Legalisierung von Abtreibung untersagte.

Eine 2023 noch von der Ampel-Regierung eingesetzte Kommission kam jedoch zu dem Ergebnis: Eine Legalisierung sei nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Ein Mitglied dieses Gremiums könnte nun selbst Verfassungsrichterin werden: Frauke Brosius-Gersdorf.

Die SPD hat die Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Nachfolgerin für eine der bald vakant werdenden Richterstellen auserkoren. Das Bundesverfassungsgericht besteht aus je acht Richtern in zwei Senaten. Diese werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt.

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Jetzt stehen zufälligerweise drei Wahlen im Bundestag an. Gesucht werden Nachfolger für Richter Josef Christ im Ersten Senat und die Nachfolger von Vizepräsidentin Doris König sowie Richter Ulrich Maidowski im Zweiten Senat. Pro Senat werden je drei Richter von CDU/CSU, drei von der SPD und je eine von Grünen und FDP vorgeschlagen. Weil die FDP aber nicht mehr im Bundestag sitzt, muss die Linkspartei einbezogen werden, um die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zu erhalten, da die Bundesregierung die AfD-Position ausgrenzt.

Brosius-Gersdorf ist der Öffentlichkeit nicht unbekannt. In der Vergangenheit wollte die Juristin das Grundgesetz gegendert sehen, sinnierte über eine „verfassungsrechtliche Pflicht“ zur Impfpflicht und redete einem AfD-Verbotsverfahren das Wort. Damit sei „natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt“, sagte sie in genau dieser Wortwahl in der Talkshow „Markus Lanz“.

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Andere Töne kamen von ihr noch 2011: Ein eher im konservativen politischen Spektrum zu verortendes Thema packte sie in ihrer Habilitationsschrift an. Ziel der Vorschläge in der Arbeit „Demografischer Wandel und Familienförderung“ war es, „den politischen Reformbedarf aufzuzeigen, damit sich künftig wieder mehr Menschen für Kinder entscheiden“. 

Die „verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Bewältigung des demografischen Wandels durch staatliche Leistungen für Familien“, mehr noch die „Staatsaufgabe“ der „Bevölkerungsreproduktion“, zu deren „Erfüllung das Grundgesetz den Staat verpflichtet“, sind als grundkonservatives Anliegen zu werten, das durchaus ein politisches Minenfeld berührt, da Bevölkerungspolitik in der Bundesrepublik als verpönt gilt.

Brosius-Gersdorf ist für die Legalisierung von Abtreibung

In der schmerzhaften Thematik des Schwangerschaftsabbruchs hat Brosius-Gersdorf unterdessen ganz andere Pflöcke eingeschlagen, als die Habilitation vermuten ließe: Die Kandidatin hat die Grenzen des Sagbaren zuungunsten des Lebensrechts verschoben. Sie war Mitglied der erwähnten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ der Ampel-Koalition, die 2023/24 Vorschläge zur Neuregelung unter anderem des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts ausarbeitete.

Sie freue sich sehr darüber, sagte sie gegenüber ihrer Universität, „an der für die Gesellschaft wichtigen Modernisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Fortpflanzungsrechts mitwirken zu dürfen“. Dem Werbeverbot für Abtreibungen im vormaligen Paragrafen 219a StGB attestierte sie in einem Rechtsgutachten von 2020, verfassungswidrig zu sein. Die Ampel-Koalition strich 2022 mit ihrer Regierungsmehrheit den Straftatbestand.

Als von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen geladene Sachverständige im Rechtsausschuss des Bundestags zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (Corrigenda berichtete) beurteilte sie den damaligen Gesetzentwurf, der den Lebensschutz noch weiter aufgeweicht hätte, als verfassungsrechtlich ohne weiteres zulässig. Der Bundestag sei bei einer Neuregelung auch keineswegs an die Entscheidungen Karlsruhes gebunden, sondern dürfe die Lage verfassungsrechtlich neu bewerten.

„Dass der Gesetzentwurf den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig stellt, ist grundgesetzkonform“, sagte sie während der Anhörung am 10. Februar 2025. Zwar stünden auch dem Embryo Grundrechte zu, „insbesondere das Grundrecht auf Leben“, aber doch auch wieder nicht: „In der Gegenüberstellung und Gewichtung mit den Grundrechten der Schwangeren tritt das Lebensrecht des Embryos in der Frühphase der Schwangerschaft aber zurück“ – und damit nach ihren Vorstellungen gerade in dem zartesten Lebensabschnitt, in dem das Ungeborene den besonders energischen Grundrechteschutz genießen müsste. Brosius-Gersdorf:

„Ob dem Embryo und später Fetus der Schutz der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes zukommt, das ist in der Tat in der Verfassungsrechtswissenschaft sehr umstritten. Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“

In der schriftlichen Stellungnahme schrieb sie sogar vom „geringeren Schutz“ des pränatalen Lebensrechts. Sie mag als exzellente Verfassungsrechtlerin gelten, als kalte Technokratin der Macht hat sie sich jedenfalls eingeführt. Sollten sich aus ihrer Sicht die Dinge günstig entwickeln, wird sie Nachfolgerin von Doris König als Senatsvorsitzende und Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Gibt sodann im November 2030 der gegenwärtige Amtsinhaber Stephan Harbarth, ein Merkel-Protegé, den Stab weiter, könnte Brosius-Gersdorf zur Präsidentin des obersten deutschen Gerichts gewählt werden. Aus Karlsruhe wird dann ein gänzlich anderer Wind wehen.

Auch zweite SPD-Kandidatin ist links-progressiv

Weniger bekannt ist die an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) lehrende Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht Ann-Katrin Kaufhold. Sie wurde von der SPD vorgeschlagen, Quellen aus dem Umfeld der LMU charakterisieren sie als deutlich linksgerichtet. Sie gilt als Schülerin des früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle, dessen Weg ans Gericht damals ebenfalls von der SPD gefördert worden war: 2005 wurde Kaufhold an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bei Voßkuhle promoviert, und von 2012 bis 2014 verdiente sie sich als dessen wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität Berlin weitere Sporen. Sie war 2022 Mitglied der Expertenkommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ des Landes Berlin. Die Kommission kam nach Beratungen zu dem Schluss, dass die Forderungen der linken Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ verfassungsgemäß seien.

Im Klimaschutz-Verfahren, das 2021 zum Klima-Beschluss Karlsruhes führte, habe Kaufhold den Bundestag vertreten, schrieb das Rechtsthemen-Portal Legal Tribune Online. In Interviews sprach sie sich für ambitionierten „Klimaschutz“ mit staatlichen Eingriffen in das Leben der Bürger aus: etwa mit der Aussage, dass es „nicht gut“ für den „Klimaschutz“ laufe und eine „gesamtgesellschaftliche Transformation“ notwendig sei, bei der „an allen Stellschrauben“ zu drehen sei. Sie unterstrich die Rolle von Gerichten, die wegen ihrer Unabhängigkeit unpopuläre, aber ihrer Meinung nach notwendige Klimaschutzmaßnahmen durchsetzen könnten. Gerichte hätten deutlich gemacht, dass „Klimaschutz auch eine menschenrechtliche Dimension“ habe.

Über ihre Haltung zum Schwangerschaftsabbruch ist öffentlich nichts bekannt. Ihre Interviewäußerung, Karlsruhe fälle „seine Urteile unabhängig, aber wenn die Umsetzung auf massiven Widerstand stößt, ist das auf Dauer nicht durchhaltbar“, lässt darauf schließen, dass sie ihrer möglichen künftigen Kollegin Frauke Brosius-Gersdorf bei der höchstgerichtlichen Schleifung des Lebensschutzes nicht in den Rücken fallen wird. LMU-Mitarbeiter beschreiben sie als eher links-progressiv. 

Wie reagiert die Union?

Konservative Politiker in der Union sind vor allem ob der Personalie Brosius-Gersdorf empört. Öffentlich äußern wollen sie sich bislang noch nicht so recht, da in der Fraktion noch beschlossen werde, wie damit umgegangen werden solle, erfuhr Corrigenda am Mittwoch aus Fraktionskreisen.

Auch die CDU-nahen Christdemokraten für das Leben (CDL) sparten nicht an deutlichen Worten. „Jemand, der Kindern vor der Geburt die Menschenwürde nicht zuerkennen will, ist aus Sicht der CDL als Richterin oder sogar zukünftige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes nicht tragbar. Würde die CDU diese Kandidatur zulassen, würde sie an der Aufhebung des uneingeschränkten Lebensrechtes von Kindern vor ihrer Geburt mitwirken“, kritisierte die CDL-Bundesvorsitzende Susanne Wenzel. Sie forderte die Unionsparteien im Bundestag auf, diese Kandidatur nicht zu unterstützen und „einen geeigneten Kandidaten für dieses bedeutungsvolle Amt auszuwählen, der nicht als politischer Aktivist in roter Robe über Fragen unseres Grundgesetzes entscheidet, die zentrale gesellschaftliche Auswirkungen haben“.

Fest steht: Die Union könnte Druck auf die SPD ausüben, ihren Vorschlag zurückzuziehen. So haben es SPD und Grüne in der Vergangenheit auch gemacht, als ihnen die Vorschläge von CDU/CSU „zu konservativ“ waren.

Ein aktuelles Beispiel ist Robert Seegmüller, der im Sommer hätte nach Karlsruhe entsendet werden sollen. Doch weil sich Rot-Grün querstellte, wechselte die Union ihren Kandidaten aus. Jetzt soll Günter Spinner vom Bundesarbeitsgericht zum Verfassungsrichter gewählt werden.

Die neuen Richter müssen noch vor der Sommerpause – zunächst im Wahlausschuss, dann vom Plenum – gewählt werden. Andernfalls wird nach Gesetz der Bundesrat die drei neuen Richter bestimmen können. Und das wollen die Bundestagsfraktionen vermeiden.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte im Wahlkampf versprochen: „Links ist vorbei!“ Jetzt können er und seine Fraktion zeigen, wie ernst es ihnen damit ist. Denn sollten beide SPD-Kandidatinnen bald in roten Richterroben in Erscheinung treten, dann ist ein erneuter, nachhaltiger Linksruck in der Bundesrepublik zu erwarten.

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