Artenschutz auf der Bühne

Kein Sommer vergeht ohne diese Debatte: Warum stehen so wenig Frauen auf den Bühnen von Musikfestivals? Wobei es kaum das Publikum ist, das darüber debattiert. Dem könnte es egaler nicht sein. Es sind von einer bestimmten Ideologie beseelte Theoretiker, die fordern, Musikfestivals in der Schweiz sollten „gendergerechter“ werden. Sprich: Dass mehr weibliche Acts auf der Bühne stehen. Musik soll also nicht wie früher verbinden, sondern sortieren.
Die Autorin und Bookerin, also Künstlervermittlerin Rike van Kleef bringt es im Interview mit dem Tages-Anzeiger auf diesen Punkt: Festivals hätten die Verantwortung, „eine diverse Utopie vorzuleben“. Was sie darunter versteht, ist in Wirklichkeit eine Einladung zur Bevormundung des Publikums.
Denn was van Kleef und andere fordern, ist nichts anderes als die planwirtschaftliche Korrektur eines freien kulturellen Markts. Festivals sollen nicht mehr nach Talent, Nachfrage und musikalischem Reiz besetzt und in einem spannenden Genre-Mix angeordnet werden, sondern nach Geschlechterquote. Hauptsache FLINTA (also Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Trans und Agender-Personen). Qualität? Nebensache. Resonanz beim Publikum? Sekundär.
Wo sind diese Supertalente?
Dass der Frauenanteil am Open Air Frauenfeld 2022 nur 16 Prozent betrug, ist für van Kleef keine Realität, sondern ein Versäumnis. Die Aussage des Veranstalters, man habe „praktisch alle möglichen Female Acts gebucht“, kommentiert sie lapidar mit: „Häufig handelt es sich bei dieser Aussage um eine Ausrede.“ Damit suggeriert sie, es gäbe irgendwo eine unerschlossene Quelle an musikalisch brillanten Künstlerinnen, die lediglich ignoriert würden. Dass Musikgenres – wie etwa Hip-Hop – aktuell stark männerdominiert sind, wird dabei nicht thematisiert.
Das Publikum ist schuld, die Booker sind schuld, die Männer sowieso. Und die Frage, warum Veranstalter sich diesen geheimnisumwitterten Supertalenten verweigern sollten, bleibt unbeanwortet.
Die Argumentation ist bequem, aber realitätsfern. Wer als Festivalveranstalter heute ein Line-up zusammenstellt, hat in der Regel nicht das Ziel, ein Weltbild zu reproduzieren, sondern ein Ticketkontingent zu verkaufen. Das Publikum entscheidet letztlich, wen es sehen will. Und wenn das derzeit mehrheitlich „vier Dudes mit Gitarren“ sind, wie van Kleef es spöttisch beschreibt, dann liegt das nicht an struktureller Bosheit, sondern an Vorlieben – an Geschmack. Und dieser lässt sich nicht umerziehen.
Moral statt Musik
Dass Frauen in der von Männern geprägten Musikbranche Benachteiligung erfahren, kommt vermutlich tatsächlich vor. Van Kleef schildert, wie sie als Stage-Managerin übergangen und beim Booking schlechter behandelt wurde als männliche Kollegen. Solche Erfahrungen sind ernst zu nehmen. Doch daraus den Umkehrschluss zu ziehen, man müsse Künstlerinnen künstlich in Festivalprogramme einbauen, schießt übers Ziel hinaus.
Eine Ungerechtigkeit heilt man nicht mit einer neuen Ungleichbehandlung. Zumal bei solchen anekdotischen Erzählungen immer unklar bleibt, woran es nun wirklich lag – und ob das Geschlecht entscheidend war.
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Wenn van Kleef fordert, dass Veranstalter dem Publikum weibliche Acts „zumuten“ sollen, wird deutlich, worum es hier wirklich geht: nicht um Musik, sondern um Moral. Um ein Weltbild, das durchgesetzt werden soll – selbst wenn es am Interesse der Festivalgänger vorbeigeht. Dass sie dabei das spanische Primavera-Festival lobt, das nur noch weibliche „Headlinerinnen“ zeigt, mag aus Aktivistensicht ein Erfolg sein. Doch was passiert, wenn der Quotendruck die Vielfalt zerstört, die man vorgibt, fördern zu wollen? Wenn ein Programm entsteht, das so perfekt austariert ist, dass es niemand mehr hören will?
Musik lebt vom freien Spiel, vom Wettstreit der Ideen und Klänge. Wer die Bühne nach Geschlecht aufteilt, reduziert Künstlerinnen auf ihr Frausein – anstatt ihre Musik sprechen zu lassen. Diese Art von Identitätspolitik macht Kultur vorhersehbar, berechenbar und langweilig. Es ist kein Fortschritt, wenn die kreative Auswahl einer ideologischen Checkliste geopfert wird.
Erfolg muss man sich verdienen
Was in der Musikszene geschieht, ist kein Einzelfall. In Skandinavien forderten Politikerinnen, dass öffentliche Kulturförderung an Genderziele gekoppelt wird. In Berlin sah sich ein Techno-Club öffentlicher Kritik ausgesetzt, weil zu viele cis-männliche DJs auflegten, also heterosexuelle Männer, die nicht verbergen, dass sie das sind. Und in Großbritannien geriet das legendäre Glastonbury Festival ins Kreuzfeuer, weil es ein Jahr zu wenig weibliche Top-Auftritte hatte. Die Musik soll also nicht mehr einfach gefallen – sie soll repräsentieren. Und wehe, sie tut es falsch.
Die Ironie dabei: Niemand hindert Künstlerinnen daran, erfolgreich zu sein. Im Gegenteil – wer als Frau heute mit Qualität, Bühnenpräsenz und Sound überzeugt, kann enorme Aufmerksamkeit erlangen. Nicht trotz, sondern wegen des woken Zeitgeists. Doch Erfolg muss verdient sein, nicht verordnet.
Der Ruf nach „mehr Frauen auf die Bühne“ klingt nach Gleichstellung, ist aber oft Gleichmacherei. Festivals sind keine sozialen Experimente, sondern kulturelle Ereignisse. Wenn sie ihr Line-up nicht nach Genre, Qualität und Nachfrage, sondern nach Geschlechterstatistik gestalten müssen, verlieren sie ihre künstlerische Freiheit.
Natürlich darf man Vielfalt feiern – wenn sie organisch entsteht. Wenn sie aber das Resultat ideologischer Vorgaben ist, wird sie zur Pflichtübung. Und wer möchte schon zu einem Konzert, auf dem man nicht wegen der Musik, sondern wegen des gesellschaftlichen Signals klatschen soll?
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Kommentare
Der Moralismus, egal welches Mäntelchen er sich umhängt, antiquierte Sexualmoral oder wokes Leben schadet dem vertretenen Anliegen immer, weil wir Menschen eben nicht nach Pädagogik gieren
Ich finde, der Artikel vernachlässigt, dass es durchaus Ungerechtigkeit für Frauen und Flintapersonen in der Musikbranche geben kann und Talent eben nicht immer nur ausreicht. Schön wäre es.
So wie die benannte Dame vielleicht von der einen Seite fällt, fällt der Autor mM von der anderen Seite.