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Kolumne „Ein bisschen besser“

Griaß Gott, jetzt samma wieder do

Meine Frau Judith, das Töchterchen und ich lümmeln am Strand. Gestern hat einer, den wir hier trafen gesagt, es sei der letzte Tag mit Sommersonne. Vorgestern hat das auch schon einer gesagt. Und letzte Woche hatten wir das Gefühl, es sei jetzt wirklich vorbei. Ist es aber nicht, denn wir sind in der Verlängerung.

Manchmal geht das schief. Dortmund hat in der Verlängerung gegen Juventus zwei Tore kassiert und aus dem sicheren Sieg wurde ein wackliges Unentschieden. Manchmal entwickelt es sich gut: Bei Salzburg gehen gerade drei Nonnen in die Verlängerung. Schwester Bernadette (88), Schwester Regina (86) und Schwester Rita, mit 81 das junge Huhn des Trios, haben sich aus dem Altersheim abgesetzt.

Ein Denkmal für Verlängerung

Mit Hilfe eines freundlichen Herrn vom örtlichen Schlüsseldienst und unter Begleitung einer zunehmend euphorisierten Öffentlichkeit sind sie in ihr altes Kloster Goldenstein eingedrungen, haben Wasser und Strom wieder angestellt, das Unkraut gejätet und halten es seither besetzt. Die Kirche hatte sie hier vor zwei Jahren ausquartiert. Eher aus Fürsorge. Doch die Ordensschwestern pochen auf ihre Verlängerung. „Griaß Gott, jetzt samma wieder do“, heißt es in einem Clip, den die medientüchtigen Klosterdamen von sich gedreht haben.

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Wenn wir nachher vom Strand hoch in unser kleines Örtchen fahren, kommen wir an einem Denkmal für Verlängerung vorbei. Es ist die prächtige Villa einer alten Frankfurter Kaufmannsfamilie, deren einziger Spross sich vor einem Jahrhundert unsterblich in eine Mailänderin verliebt hatte. Sie wollte ihn heiraten, doch ihre Eltern waren dagegen. Der Kaufmannssohn hatte nämlich die falsche Konfession.

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Darauf klagte die tapfere Braut gegen die eigenen Eltern, gewann, heiratete und vier Wochen später erlag der frischangetraute Gatte einer tückischen Krankheit. Dessen Eltern jedoch behielten die Witwe in ihrem Haus, und sie schenkte ihnen am Ende Nachkommen von einem anderen zwar, doch sie zogen sie wie die eigenen Enkel auf. Der letzte Nachfahre lebt noch heute. Die Verlängerung ist geglückt.

Warum so ein Töchterchen in unserem Alter

Ich döse im Sand, träume von Klosterdamen und Mailänderinnen, als das Töchterchen mit Schwung auf mir landet und versucht, mich ins kalte Wasser zu zerren. Judith hat sie eben das Kopfkissen weggeboxt, so dass es mit der Strandlektüre vorbei war.

Sie wolle außerdem ein Schokoladeneis und sie fände es ein bisschen besser, wenn das ein bisschen plötzlich geschehe. Ich schaue Judith in ihre grünen Augen. Mein Blick soll fragen, warum wir in unserem betagten Alter noch so ein Töchterchen bekommen haben.

Judiths Augen blitzen zurück, es sind Morsezeichen, die sie versendet. Ich kenne es. Ich buchstabiere mit: „Weil die Herausforderung in der Verlängerung liegt“, morst sie.

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