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Kolumne „Ein bisschen besser“

Standkorb von hinten

Das Leben in diesen letzten warmen Tagen des Septembers ist wie ein Strandkorb von hinten: Du spürst noch den Sand zwischen den Zehen, wenn du gehst. Du hast die feuchten Handtücher unterm Arm und dieses Bild im Kopf, als du vorne dringesessen bist: dem Meer zugewandt, Dampfer zählend, Möwengeschrei.

„Judith“, sage ich zu meiner Frau, „das war ein Supersommer“. Sie wühlt in ihrem Kleiderschrank und sucht nach den herbstlichen Anziehsachen, dem geringelten Pullover, den sie so mag, den weiten Strickjacken, die ihr in meinen Augen etwas Mondänes verleihen, den Schals, die sie in allen Monaten mit „r“ trägt.

Ein Superwinter mit Max Rabe

Wenn ich ihr so zuschaue, könnte es ein Superwinter werden. Einer, in dem der Bratenduft durch die Küche zieht, in dem Sonne auf Schneefelder strahlt, in dem wir in langen Nächten schweren Rotwein öffnen, traurige Volksweisen singen, unserer Vorfahren gedenken, und die Nachfahren anherrschen, uns nicht auf die Nerven zu gehen. Einer, wo wir vielleicht einen Tag einfach im Bett bleiben. „Telefonieren, wird nicht passieren. Das, was ich tu, ist Kühlschrank auf und Kühlschrank zu“, singt Max Rabe.

Als Judith und ich uns kennenlernten, haben wir beide ständig diese Musik gehört. Sie stammt eigentlich aus den Goldenen Zwanzigern, 100 Jahre ist das jetzt her. Und im Nachhinein war es nur eine Zwischenzeit zwischen den Katastrophen, es war ein ständiger Tanz auf dem Vulkan, bis der irgendwann ausbrach und alles mit sich riss.

Barfuß oder Lackschuh

„Ich liebe es, mit dir auf dem Vulkan zu tanzen“, stelle ich mir vor, dass Judith mit rauchiger Stimme herüberraunt, während wir an einem dieser Winterabende ganz zufällig in die Stimmung kommen, die Musik lautzudrehen, uns bei den Lenden zu nehmen und übers Parkett zu wirbeln. Ich stelle mir vor, dass Männer, die am Limit kratzen, anziehend wirken auf Frauen, die mal ausbrechen wollen. Das Leben, mein Schatz, wird barfuß oder Lackschuh gelebt, dazwischen ist nichts.

„Hängst du bitte die feuchten Handtücher auf, morgen soll es nochmal warm werden“, reißt Judit mich aus den Gedanken. „Mit dieser Frau ist immer Sommer“, denke ich, tue, wie mir geheißen, und werde mich bis morgen dann entscheiden, ob Dampfer zu zählen nicht doch ein bisschen besser ist, als auf dem Vulkan zu tanzen.

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