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Kolumne „Berliner Luft“

Der letzte Glühwein?

Der erste Schock kommt noch vor dem ersten Schluck: Glühwein 5 Euro, mit Schuss 7 oder 7,50 Euro. In manchen Vierteln kratzt der Preis inzwischen an der 8-Euro-Marke, und selbst eine einfache Bratwurst kostet rund 5 Euro. Der Weihnachtsmarkt, egal ob in Berlin oder anderorts in Deutschland, ist schon länger kein kleiner Ausflug mehr in die erschwingliche Folklore, sondern ein ökonomisches Rechenexempel. Paare stehen vor den Ständen und kalkulieren, ob sie eine zweite Tasse nehmen sollen oder ob doch ein Glühwein reicht. Familien sprechen es gar nicht erst aus. Sie nicken nur resigniert und bestellen Kinderpunsch wie eine Investition.

Natürlich könnte man sagen, dass die Inflation alle Güter betrifft. Doch hier, auf dem engen Platz zwischen Mandelduft und seit Neuestem auch dem Geruch des Dönerspießes, wird sie sichtbar in so ziemlich allen Buden. Was müssen die Mieten hier kosten für zwei Quadratmeter Fläche, um Crêpes zu verkaufen oder gebrannte Mandeln? Das ist nicht abstrakt, keine Prozentzahl in einer Haushaltsrede, sondern eine sehr konkrete Frage: Wer kann es sich noch leisten, an diesem alljährlichen Ritual teilzunehmen, das einmal so selbstverständlich war wie ein Spaziergang?

Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz. Die einen stehen an für den X-Mas-Döner …
… und die anderen für türkischen Apfeltee und Sahlep

Wenn Preise zu Schwellen werden, wirkt so manches Lächeln angespannt. Und während der Glühwein dampft, dampft im Hintergrund die Erkenntnis. Die Wirtschaftspolitik entscheidet längst auch darüber, wer im öffentlichen Raum sichtbar bleibt. Oder anders gesagt: wie häufig jemand diesen besucht.

Die Republik der Merkel-Poller

Die Berliner Weihnachtsmärkte sind nur ein Beispiel für diese Entwicklungen. Natürlich sind all die beschriebenen Tendenzen auch auf dem Nürnberger Christkindlmarkt oder auf dem Römerberg-Weihnachtsmarkt in Frankfurt am Main zu spüren.

Neben dem kalten Schauer des Geldes steht die Vorsicht nun auch im Weg. Seit dem Anschlag im Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz zieren schwere Betonklötze jeden Weihnachtsmarkt und sind mittlerweile Voraussetzung und Teil der Sicherheitsvorkehrungen. „Merkel-Poller“ nennt man sie inzwischen halb ironisch, halb resigniert – als gehörten sie zur Landschaft wie der Zucker zum Rand des Punschglases. Sie markieren den Ort, an dem die Stadt ihre Verletzlichkeit eingesteht, ohne es auszusprechen.

In Augsburg werden die Merkel-Poller sogar alle paar Minuten weggetragen, damit die Straßenbahn durchfahren kann. Es ist eine Psychose. Aber nicht die der Bürger, sondern die der Entscheidungsträger, der Politiker. Oder es ist Korruption und Lobbyisten verdienen sich eine goldene Nase mit der Produktion der Poller. In beiden Fällen wäre es traurig.

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Jener Anschlag hat in Berlin Spuren hinterlassen, die erst einmal nicht verschwinden werden. Die Poller sind die sichtbarsten davon. Sie stehen stumm herum, aber ihre Botschaft ist laut. Die einstige, selbstverständliche Idylle wird penetrant geschützt.

Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz 2025. Zwischen Lichtern und Gebäck Kerzen für die Opfer des Terroranschlags am 19. Dezember 2016

Natürlich verstehen die meisten Menschen das. Sicherheit ist kein Luxusgut, sondern ein Grundbedürfnis. Doch je mehr Betonblöcke, Absperrungen, Kontrollen und Taschenchecks Teil dieser Märkte werden, desto stärker verwandeln sich Weihnachtsmärkte in Orte, an denen wir nicht mehr feiern, sondern den Aufenthalt aushalten. Aushalten, in welcher Welt wir inzwischen leben. Aushalten, dass selbst die fröhlichsten Orte eine Sicherheitsarchitektur benötigen, die einen Preis hat.

Es schlägt auf die psychische Gesundheit und lässt den Geldbeutel noch dünner, fast schon transparent, werden. Zwischen Holzbuden und Nostalgie stellt sich vielen Besuchern sicherlich die Frage: Wie viel Schutz verträgt ein öffentlicher Raum, bevor er aufhört, öffentlich zu sein?

Wer darf sich Öffentlichkeit noch leisten?

Eine Stadt misst sich nicht an ihren Leuchttürmen, sondern an ihren öffentlichen Räumen. Und ein Weihnachtsmarkt ist – oder war – einer der letzten davon. Doch jetzt spürt man: Die Eintrittsbarriere hat sich verschoben. Wenn ein Familienbesuch 30 bis 50 Euro kostet, bevor überhaupt jemand satt wird, ist das kein Nebenbefund, sondern Politik im Alltag. Hier spürt man, wen und was man gewählt hat. Wie wenig der Politiker seinen Wähler schätzt und dass er ihn eher als eine steuerzahlende Milchkuh betrachtet. Diese übertriebene Sicherheit ist doch mittlerweile offenkundig die Folge der offenen Grenzpolitik, die so nie demokratisch legitimiert wurde.

Die Marktbetreiber stehen selbst unter Druck. Sie müssen im Rahmen der inflationären Wirtschaftslage die steigenden Energiepreise, höhere Standgebühren, strengere Auflagen, Sicherheitskosten und Mindestlohnanpassungen stemmen. Viele sagen offen, dass es immer schwerer wird, überhaupt profitabel zu bleiben. Wenn eine Bratwurst 5 Euro kostet, dann ist das nicht Gier, sondern es ist die Bilanz einer Stadt, deren Kostenstruktur aus dem Ruder läuft.

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Doch der Wähler ist kurzsichtig und wird den Ampelparteien keine Beschwerdebriefe schreiben. Wenn die Partei „Die Linke“ noch mehr Stimmen möchte, wird sie in der nächsten Saison wohl Plakate aufhängen mit dem Text: „An den Bratwurst- und Glühweinpreisen sind die Verkäufer schuld.“ Die Frage ist also nicht mehr, ob Weihnachtsmärkte teurer werden, sondern wie lange sie uns in der jetzigen Form erhalten bleiben. Wird es vielleicht irgendwann einen Eintritt geben, um Poller, Strom und den öffentlichen Platz zu bezahlen? Ja, ein öffentlicher Platz! Man kann es nicht oft genug wiederholen, weil es mit Blick auf die immense Steuerlast doch so absurd ist.

Weihnachtlicher Striezelmarkt auf dem Altmarkt in Dresden im Jahr 1987

Die Frage nach der Zukunft

Die Corona-Zeit hat die Welt auf den Kopf gestellt. Ich würde sagen, dass sich viele Menschen Sorgen machen, wie lange etwas erhalten bleibt, denn wir wissen seitdem, wie schnell sich sehr große Dinge schlagartig ändern lassen. Die Frage, ob es einer der letzten Weihnachtsmärkte ist, wie wir sie kennen, ist spätestens seit Dezember 2020 berechtigt. Damals waren es die Hygienemaßnahmen, heute sind es die steigenden Preise. Doch es gibt noch ein drittes Sorgenkind.

Es ist bei Weitem keine nostalgische Angst mehr, sondern eine nüchterne Beobachtung. Was passiert, wenn die Sicherheitsauflagen noch weiter zunehmen? Wenn Inflation und Mieten die Betreiber verdrängen? Und vor allem: Was passiert, wenn jene aussterben, die die Dinge können, die junge und Menschen mittleren Alters nicht mehr können? Was passiert, wenn die Tradition und alles, was ein Teil davon ist, ausstirbt?

Traditionelles Handbrot auf einem Berliner Weihnachtsmarkt
Ein Stand von Käthe Wohlfahrt®: Weltweit berühmte, traditionelle deutsche Handwerkskunst aus Rothenburg ob der Tauber

Trotz des kleinen Verrisses: Die Märkte sind voll. Vielleicht, weil wir ahnen, dass es nicht selbstverständlich ist, hier miteinander zu stehen: frierend, hohe Preise zahlend, eingepackt und bewacht – aber zusammen. Der Weihnachtsmarkt scheint einer der letzten gemeinsamen Nenner einer Gesellschaft zu sein, die sich politisch häufig unversöhnlich zeigt. Wenigstens im Dampf eines Glühweinkessels kann man einer Meinung sein. Und wenn man sich fragt, ob und wann es einen letzten Weihnachtsmarkt geben wird: Wir wissen, dass wir diesen gerade in der Krisenzeit so dringend brauchen.

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