Brosius-Gersdorf-Ultras: Wie eine linke Schmutzkampagne entsteht

Wer will, kann gerade live miterleben, wie linke bis linksradikale Netzwerke funktionieren – und ihre ganz eigentümlichen Verschwörungstheorien in die Welt setzen. Anlass ist die am vergangenen Freitag abgeblasene Bundesverfassungsrichterwahl, unter denen die von der SPD vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf der Stein des Anstoßes war.
Eine große Gruppe von Unionsabgeordneten war ihrem Gewissen gefolgt und hatte gegen die Fraktions- und Parteiführung opponiert. Eine Person, für die es „gute Gründe“ gibt, Menschen ihre Würde erst ab der Geburt zuzusprechen, ist für uns nicht tragbar, sagten sie. Und sie hielten dem Druck des Koalitionspartners, der linken Medien und der Fraktionsführung rund um Jens Spahn Stand.
Doch mit der Niederlage gibt sich der linke Block in- und außerhalb des Parlaments nicht zufrieden. Während die 16-Prozent-Partei SPD wieder einmal vollkommen überzieht und mit einem fotomontierten Bild ihre Solidarität mit der von ihnen vorgeschlagenen Juristin zeigt, tun sich in den sogenannten sozialen Medien unzählige Aktivisten, politische Accounts, Journalisten und Menschen mit zu viel Freizeit zusammen und erfinden Erklärungen für die vorläufige Nicht-Wahl der progressiven Potsdamer Juristin.
So geht die große Erzählung der linken Wahlverlierer
Die große Erzählung geht kurz gesagt so: Alice Weidel (AfD-Chefin), Julian Reichelt (NIUS-Chefredakteur), Dieter Stein (Chefredakteur Junge Freiheit), Max Mannhart (Apollo News) Kristijan Aufiero (Geschäftsführer und 1000plus und Verleger von Corrigenda) und andere haben sich heimlich zusammengetan und eine riesige mit Unsummen an Geldern unterfütterte Kampagne aufgelegt, um die Union vor sich herzutreiben, so dass diese gegen Brosius-Gersdorf stimmt.
Es ist eine rein fiktive Erzählung. Und noch nicht einmal eine kreative oder gut durchdachte. Fangen wir beim entscheidenden Grund an, weshalb eine relevante Zahl an Abgeordneten der Bundestagsfraktion von CDU/CSU intern und gegenüber Wählern angekündigt hatte, Brosius-Gersdorf nicht zu wählen. Es lag an ihrer juristischen Auffassung, wonach es „gute Gründe“ dafür gäbe, „dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt“.
Und an ihrer Empfehlung, Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen zu legalisieren. Darüber hinaus sagte sie wie eine Reihe anderer liberaler Juristen auch, dass es dem Gesetzgeber freistehe, vorgeburtliche Kindstötungen bis zur 22. Woche rechtlich zu beanstanden oder nicht. Ab der 22. Schwangerschaftswoche müssten Abtreibungen laut Grundgesetz auf jeden Fall rechtswidrig sein, doch auch hier sei es dem Gesetzgeber überlassen, sie straffrei zu stellen oder nicht. Die Straffreiheit für Abtreibungen während der gesamten Schwangerschaft, das stand, wie sie als Sachverständige selbst schrieb (PDF), auch in einem von ihr unterstützten Gesetzesvorschlag, der im Februar beschlossen werden sollte.
Die Positionen Brosius-Gersdorfs gehen also weit über den aktuellen Status quo hinaus. Für eine Fraktion, deren beider Parteien in ihren Grundsatzprogrammen den Schutz des ungeborenen Lebens betonen, ist das verständlicherweise inakzeptabel.
Von wegen Hetze! Eine höfliche E-Mail an den Abgeordneten
Wie es im Laissez-faire der Berliner Blase aber manchmal so ist, müssen Politiker an ihre Überzeugungen und ihre Wahlkampfversprechen erinnert werden. So auch in diesem Fall. Weil die Justiziare der Unionsfraktion und später die Fraktionsführung entweder massiv gepennt oder erst gar kein Problem an diesen Positionen erkannt hatten und die Personalie Brosius-Gersdorf gegenüber der SPD absegneten, kam die Fraktion in eine gefährliche Situation.
Also kam 1000plus, eine Organisation, die Informationen, Beratung und Hilfe für Schwangere in Not anbietet, auf die Idee, eine Plattform bereitzustellen, auf der Wähler ihre Unionsabgeordneten daran erinnern können. Stand Montagnachmittag ist das fast 39.000 Mal geschehen. Die E-Mail, die an den jeweiligen Abgeordneten geschickt wird, ist höflich und motivierend, aber auch klar. Sie beginnt mit den Worten:
„Sie sind Bundestagsabgeordneter einer Partei, die von gläubigen und überzeugten Christen gegründet worden ist und die wie keine andere für den Wiederaufbau Deutschlands nach 1945 auf dem Fundament von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und der unbedingten Solidarität mit den Schwächsten steht. Ich wende mich heute in einem Anliegen an Sie, das mir außerordentlich wichtig ist und mir ganz besonders am Herzen liegt: Der Schutz von Schwangeren in Not und die Bewahrung ungeborener Kinder vor einer Abtreibung. Dieses Anliegen ist mir so wichtig, dass ich meine zukünftigen Wahlentscheidungen auch davon abhängig machen werde, wie sich eine Partei oder ein Kandidat in dieser Frage positionieren.“
Von einer „Hetzkampagne“ keine Spur. Dass Medien wie NIUS, die Junge Freiheit oder kluge Federn wie Don Alphonso darüber berichtet haben, war nicht abgesprochen. Sie taten es, weil es eine gute, einmalige Aktion war. Es gab keinerlei Verabredungen. So weit, so wahr.
Wie Mainstreammedien, „Denkfabriken“ und Aktivisten Hand in Hand arbeiten
Nun aber kommen Focus Online und Polisphere ins Spiel, eine Firma, die sich als „Beratungsnetzwerk“ und „Ideenlabor“ verkauft. Am Sonntagabend um 18:36 Uhr ging ein Artikel der Journalistin Antje Hildebrandt online. Im Vorspann heißt es dort:
„Dass der Bundestag die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf vertagen musste, war nach Ansicht von Experten kein Zufall. AfD-nahe Abtreibungsgegner sollen Abgeordnete der Union massiv unter Druck gesetzt haben. Chronologie eines Vorgangs, der die Koalition in eine Krise gestürzt hat.“
Mehrere hochrangige Grünen-Politiker verbreiten den Beitrag. Schon im zweiten Satz steht ein grober Fehler. 1000plus, worüber der Artikel maßgeblich handelt, ist nicht „AfD-nah“. Auf X-Anfrage, wie Hildebrandt zu dieser Formulierung komme, erhielt der Autor dieser Zeilen bislang keine Antwort. Zu vermuten ist, dass sie auf eine Ausschussanhörung anspielt, in der Aufiero seine Erfahrung aus der Praxis der Schwangerschaftskonfliktberatung kundtat.
Der Bundestag hatte ihn auf Vorschlag der AfD eingeladen. Jede Fraktion hat eine begrenzte Anzahl an Vorschlägen, und manche Sachverständige werden auch auf Vorschlag von unterschiedlichen Parteien eingeladen. Daraus eine Verbindung abzuleiten, ist unzulässig, weil sonst jeder Hochschullehrer, der in einem Landtags- oder Bundestagsausschuss spricht, ein Partei-Sachverständiger wäre.
„Haben sich die selbsternannten Lebensschützer vor den Karren der AfD spannen lassen?“, fragt die Autorin am Ende suggestiv. Dabei zieht sie Philipp Sälhoff zu Rate, den Geschäftsführer von Polisphere, das sie als „Denkfabrik“ vorstellt. Neben falschen Behauptungen („Die Adressen suchte ein Bot für sie heraus“) deutet Sälhoff an, Lebensschützer hätten sich für die AfD nützlich gemacht.
Was in dem Artikel nicht steht: 1000plus gibt es schon wesentlich länger als die AfD. Und Lebensschützer kennen den Namen Frauke Brosius-Gersdorf bereits, seitdem sie ein Rechtsgutachten zum inzwischen abgeschafften Paragrafen 219a StGB verfasste. Darin behauptete die Juristin, das Werbeverbot für Abtreibungen sei verfassungswidrig.
Lebensschützer kennen den Namen Brosius-Gersdorf schon lange
Nachdem die Ampel-Regierung 2023 ihre „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ eingesetzt hatte, war Brosis-Gersdorf im Lebensschutzmilieu bekannt wie ein bunter Hund. Corrigenda erwähnte Anfang April 2023 das erste Mal ihren Namen.
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Auch Unionsabgeordneten ist der Name spätestens seitdem ein Begriff. Das wissen wir, weil wir in unserer Berichterstattung über die Ampel-Kommission mehrfach auch Christdemokraten haben zu Wort kommen lassen. Es bedurfte also keiner mit der AfD orchestrierten Medienkampagne, um „Stimmung“ gegen Brosius-Gersdorf zu machen.
Seit der Veröffentlichung des Focus Online-Beitrags verbreiten linke Accounts aber solche und ähnliche Verschwörungstheorien, was dazu führt, dass 1000plus-Mitarbeiter an den Social-Media-Pranger gestellt werden. Auf X verbreiten Nutzer Namen und Fotos und behaupten, sie stünden hinter der „Kampagne“. Dazu kursiert eine Grafik, die eine Verbindung von 1000plus mit dem russischen Oligarchen Konstantin Malofejew herstellt – eine völlig frei erfundene Falschbehauptung.


Dem wirren Spiel sind aber keine Grenzen gesetzt, es geht ja schließlich um die gute Sache, „Frauenrechte“. Ein Nutzer fabuliert etwas davon, dass die Schauspielerin Monika Gruber „eine global tätige NGO promotet, die Druck auf deutsche Politiker ausübt“. Andere rufen ihre Anhänger dazu auf, mit böser Absicht kostenlose Handzettel zu bestellen, oder die Website auf Unregelmäßigkeiten hin zu untersuchen.
Der Kampf um die verschobene Richterwahl hat gerade erst begonnen. Niemand wird sich wundern, dass keiner der unter umgekehrten politischen Vorzeichen sofort einspringenden „Faktenchecker“ aktiv werden wird, um diesen Verschwörungsnarrativen ein Ende zu setzen.
Das Wichtigste gerät aus dem Fokus
Bei all dem gerät dann auch das Wichtigste dieser bekanntesten Richternachbesetzung der Bundesrepublik Deutschland aus dem Fokus: die Menschenwürde von ungeborenen Kindern und die Hilfe für Schwangere in Konfliktsituationen, die sich oft gerade keine Abtreibung wünschen, sei diese nun rechtswidrig und straffrei oder nicht, sondern Hilfe.
Amüsant ist: Ausgerechnet jenes Milieu, dem sonst jedes Mittel recht ist, jede Paktiererei mit politisch am Rande stehenden Gruppen, beschwert sich nun darüber, dass Bürger ihren Abgeordneten E-Mails schreiben. Man denke an die Kampagne gegen den Paragraf 218 StGB (PDF), wo von Amnesty International über das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, den DGB bishin zu Verdi und dem „Zentralrat der Konfessionsfreien“ alle möglichen Verbände und Vereine teilnahmen. Man denke an die Klimabewegung, die sich auch mit kriminellen Gruppierungen solidarisiert hat, die anderen Menschen ihre Meinung aufnötigen wollen.

Wenn Wähler E-Mails an ihre Abgeordneten schreiben, soll das aber undemokratischer politischer Druck sein? Im Gegenteil. Es handelt sich um demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung in Reinform.
Dass sich SPD und Grüne sowie ihre Unterstützer im politischen Vorfeld sowie in sozialen Medien auf das orchestrierte Kampagnennarrativ einschießen, hat für sie den Vorteil, dass sie sich inhaltlich nicht mit den Vorbehalten der Lebensschützer befassen müssen. Sie glauben, die Debatte gewinnen zu können, indem sie jeden Brosius-Gersdorf-Kritiker als „AfD-nah“ bezeichnen. Doch das wird ihnen nicht gelingen.
Und sie sollten sich dann auch nicht wundern, dass ihr Engagement für Frauen nicht ernst genommen wird. Das für ungeborene Kinder, die schwächsten Menschen in unserer Gesellschaft, erst recht nicht.
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Kommentare
Warum grenzt man sich von der AfD mal wieder ab? Ohne Frau von Storchs Frage wäre der Stein sicherlich nicht so ins Rollen geraten ...
@Sabine Niemand grenzt sich ab. Ich stelle nur klar, wie es wirklich ist.
Über Frau von Storchs kluge Frage haben wir in diesem Beitrag berichtet: https://www.corrigenda.online/politik/bundesverfassungsgericht-warum-es-keinen-guten-grund-fuer-die-union-gibt-brosius-gersdorf
Mit freundlichen Grüßen
Lukas Steinwandter