Direkt zum Inhalt
„Sexarbeit“, ein ganz normaler Beruf?

Deutschland, Land der Prostitution

Zwanzig Jahre ist es her, als die Politik in Deutschland das Anschaffen zu einem ganz normalen Beruf machte. Eine Mehrheit aus rot-grüner Regierung zusammen mit Stimmen von FDP und PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) sorgten dafür, dass Prostituierte Anspruch auf einklagbaren Lohn bekamen, ebenso wurde der Zugang zu den Sozialversicherungen gewährt. Dies löste einen regelrechten Run auf Deutschland aus. Viele Frauen, gerade auch im Zuge der EU-Osterweiterung, begaben sich nach Deutschland, um ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihres Körpers zu verdienen.

Welche Auswirkungen das Gesetz bis heute hat, weiß Manfred Paulus. Der Kriminalhauptkommissar im Ruhestand arbeitete über 30 Jahre als Polizist in Baden-Württemberg. Seit seiner Pensionierung betreibt er Aufklärungsarbeit in Rumänien: „Dieses Gesetz von 2002 wurde sicher in bester Absicht verabschiedet“, sagte er der ZDF-Doku „Bordell Deutschland“. „Es zielt in ein Milieu mit völlig anderen Wertvorstellungen.“

90 Prozent aller Prostituierten arbeiten unter Zwang

Damit sei es wirkungslos, wenn nicht sogar schädlich. In Deutschland dominieren laut Paulus albanische Clans, rumänische und bulgarische Gangs sowie sogenannte „Balkansyndikate“. In den Ländern, in denen Prostitution erlaubt sei, gebe es immer schwere Kriminalität. Beides sei „wie ein Geschwisterpaar“, so der ehemalige Polizist.

Diese Aussage deckt sich mit einer Studie von 2013, in der zu diesem Thema weltweit ausgewertet wird. Axel Dreher, Professor für Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg, leitete die Studie und kam zu eindeutigen Ergebnissen: „In Ländern ohne gesetzliches Prostitutionsverbot wird Menschenhandel in einem größeren Umfang registriert als in Ländern, in denen die Prostitution verboten ist.“

Trotz dieser eindeutigen Faktenlage wird das Thema in Deutschland kaum diskutiert. Wenn „Anschaffen“ in Talkshows stattfindet, läuft es meist auf eine ähnliche Art und Weise. Neben einer Kritikerin wird eine Domina, wahlweise eine Edel-Escort eingeladen, die ihrer Tätigkeit gern, freiwillig und gut bezahlt nachgehen. Doch diese werden auf maximal zehn Prozent geschätzt, wie der ehemalige Hauptkommissar und stellvertretender Vorsitzende des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse (DIAKA), Helmut Sporer, schätzt. Der Fachmann für Menschenhandel und damit verbundene sexualisierte Gewalt gibt an, dass rund 90 Prozent der Frauen in den Fängen von Zuhältern stecken und die „Arbeit“ nur unter Zwang und Bedrohung ausüben.

„Nordisches Modell“ als Alternative

Kann man unter diesen Umständen von einer normalen Tätigkeit, also von „Arbeit“ sprechen, wie es das Gesetz von 2002 betont? Laut der französischen Hilfsorganisation „The Coalition for the Abolution of Prostitution“ steigen die Frauen im internationalen Durchschnitt in das Gewerbe bereits als Mädchen ein, mit 14 Jahren. In Deutschland mit 19. Ein Drittel ist minderjährig. Die Lebenserwartung liegt bei 40 Jahren. Körperliche Verletzungen wie Narben, Knochenbrüche oder Inkontinenz gehören zum Alltag. Andere haben mit einer Suchterkrankung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen. Viele Prostituierte treiben mehrfach ab.

Andere Länder gehen andere Wege. In Frankreich droht dem Freier seit 2016 eine empfindliche Geldstrafe ab 1.500 Euro – in erschwerten Fällen müssen sie sogar ins Gefängnis. Auch in Schweden, Norwegen, Island, Nordirland, Irland und Israel gilt das „Nordische Modell“. Das Gesetz besteht aus zwei Komponenten. Zum einen wird der Kauf von Sex kriminalisiert. Das heißt, nicht die Prostituierte wird bestraft, sondern der Freier. Als weitere Maßnahme sollen Ausstiegs- und Beratungsangebote geschaffen werden für die Menschen, die in diesem Bereich tätig sind.

Die Vorsitzende der CDU-Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, sieht das ähnlich. „Zunächst einmal ist es wichtig, dass diese Prostituierten die Chance haben, aus den Fängen ihrer Zuhälter und aus den Fängen des Bordells herauszukommen“, sagte die Politikerin im Deutschlandfunk. Daher seien entsprechende Auflagen wichtig, denn nur dann habe die Frau ja auch die Chance, sich Dritten anzuvertrauen, über ihre Zwangssituation zu berichten und dann auch auf passende Hilfen aufmerksam gemacht zu werden.

„Sexpositive Feministinnen“ sperren sich gegen das Verbot

Das sehen nicht alle so. Gerade dieses Thema spaltet viele Feministinnen. Während Radikalfeministen wie Alice Schwarzer hierzu eine klare Haltung haben und das „Nordische Modell“ befürworten, sehen andere Prostitution als Zeichen der Emanzipation und Selbstbestimmung der Frau. Eine dieser „sexpositiven Feministinnen“ ist die Autorin Sonja Dolinsek. „Ich finde es immer wieder beeindruckend – nein: schmerzhaft –, die Angriffe gegen Sexarbeit zu beobachten“, schrieb sie in dem Internetmedium „Edition F“. Mal kämen diese von besorgten Bürgern, mal von der Polizei, mal von Feministinnen. Sie fordert eine Solidarisierung mit sogenannten Sexarbeitern und weist darauf hin, dass eine Abschaffung von Prostitution unmöglich sei.

„Was möglich ist, ist eine extrem repressive Kriminalisierung aller Beteiligten, Strafen, Inhaftierung bis hin zu erzwungenen Formen der ‘Umerziehung’ – alles Maßnahmen, die Sexismus und gesellschaftliche Unterdrückung nicht reduzieren, sondern fördern.“ Ferner seien diese Maßnahmen im Sinne des aktuellen (angeblichen) Rechtsruckes. „Eine feministische Haltung zu Sexarbeit muss sich über die Gewalt bewusst sein, die staatliche Akteure an Prostituierten ausgeübt haben und – folgt man Amnesty International – immer noch ausüben.“

Auch die Bordellbesitzerin und Prostituierte Hanna Lakomy aka Salomé Balthus kann die Aufregung nicht verstehen. Auf die Frage der Frankfurter Rundschau, ob eine emanzipierte Frau ihren Körper nicht verkaufen sollte, antwortete die Unternehmerin: „Wie kommen Sie denn darauf, dass wir unsere Körper verkaufen? Ich habe alle meine Organe noch. Wir verkaufen einen Service. Mit körperlicher und vor allem geistiger Arbeit. Oder finden Sie, dass ein Bergarbeiter oder eine Ballerina auch ihre ‘Körper verkaufen’?“

Gesetzesänderungen sind nicht in Sicht

Dieser Haltung würde Norak sicherlich widersprechen. Die junge Frau war nach ihrer Zeit als Prostituierte schwer traumatisiert. „Die Zeit als Prostituierte hat mich fast zerstört“, sagte sie in dem Film „Bordell Deutschland“. „Das ist keine Arbeit, das ist einfach nur Gewalt, was man da erlebt.“ In dem Klub, in dem sie beschäftigt war, habe sie Menschenhandel gesehen. Freier habe es nicht gestört, wenn Kolleginnen von Norak mit einem blauen Auge herumliefen.

Neben dem Verein „Sisters“ engagiert sich auch die Vereinigung Perlentor e.V. zum Thema Prostitution. „Frauen können bei uns schnell und unbürokratisch Zuflucht finden. Sie werden sozialarbeiterisch in einer betreuten Wohnform begleitet“, erklärt die Mitarbeiterin Cornelia Trost gegenüber Corrigenda. So sei es Ziel, die Frauen in ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu begleiten und darin zu stärken. Perlentor betreibt und betreut verschiedene Schutzwohnungen in München. Der Verein wird hauptsächlich von Spenden getragen und wünscht sich daher von der Politik neben Anerkennung auch „finanzielle Unterstützung für unsere Einrichtungen und Gehälter für verschiedenste Mitarbeiter“, so Frau Trost.

In Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt rund 24.000 Prostituierte offiziell beschäftigt. Rechnet man die Coronazeit heraus, nimmt deren Zahl von Jahr zu Jahr zu. Doch die meisten, man schätzt die Zahl zwischen 200.000 und 400.000, arbeiten immer noch ohne Anmeldung, wie das Ärzteblatt kürzlich berichtete. Für sie greift das Prostituiertenschutzgesetz von 2002 nicht.

Eine Änderung des Gesetzes wird es in dieser Legislaturperiode wohl nicht geben, was nicht zuletzt an den Grünen liegen dürfte, die das „Nordische Modell“ ablehnen. So fürchtet die Partei, dass Prostituierte damit in die Illegalität gedrängt würden, was laut Amnesty International „verheerende Folgen“ mit sich brächte. Auf dem Parteitag 2021 lehnte die Partei einen Antrag zum Nordischen Modell ab. Stattdessen möchte die Ökopartei zu diesem Thema eine „evidenzbasierte politische Entscheidung“ treffen. Doch diese Grundlage ist momentan nicht in Sicht. Eine Evaluierung des Gesetzes war ursprünglich für 2022 geplant. „Den fertigen Evaluationsbericht soll das Bundesfrauenministerium bis zum 1. Juli 2025 dem Deutschen Bundestag vorlegen“, heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

3
2

1
Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar
2
H.D.
Vor 10 Monate

Es gab Untersuchungen, wonach schon kleine schwedische Jungen mit einem ganz anderen Frauenbild aufwachsen, darin ist die Vorstellung, Frauen seien käufliche Körper, völlig undenkbar.
Prostitution zu „Sexarbeit“ zu adeln war genauso verheerend, wie es die neuerliche Idee einer Self-ID ist. Bei Grünlinken herrscht eine merkwürdige Obsession rings um das Thema Sexualität, eine Art pubertäre Dauer-Opposition zum jeweiligen Ist-Stand.

2
H.D.
Vor 10 Monate

Es gab Untersuchungen, wonach schon kleine schwedische Jungen mit einem ganz anderen Frauenbild aufwachsen, darin ist die Vorstellung, Frauen seien käufliche Körper, völlig undenkbar.
Prostitution zu „Sexarbeit“ zu adeln war genauso verheerend, wie es die neuerliche Idee einer Self-ID ist. Bei Grünlinken herrscht eine merkwürdige Obsession rings um das Thema Sexualität, eine Art pubertäre Dauer-Opposition zum jeweiligen Ist-Stand.