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Kolumne „Der Philosoph“

Politisches Recht

Wladimir Putin ist seit dem 17. März 2023 ein international gesuchter Mann. An diesem Tag erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen den Präsidenten der Russischen Föderation. Vorgeworfen wird ihm in erster Linie die Entführung ukrainischer Kinder nach Russland. In Putins Gesellschaft weiß sich nun auch Benjamin Netanjahu.

Zusammen mit seinem ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant wird Israels Ministerpräsident wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg vom IStGH per Haftbefehl „gesucht“. Auch Hamas-Führer Mohammed Deif – der Berichten zufolge aber wohl schon tot sein könnte – soll, wenn es nach dem IStGH geht, verhaftet werden.

Die Reaktionen, die unmittelbar nach Bekanntwerden der Haftbefehle durch die Presse und die sozialen Netzwerke ins Kraut schossen, spiegeln die seit langem etablierten Lager in diesem Konflikt wider: Wer es mit Israel hält, ist entsetzt, die andere Seite hingegen jubiliert. Philosophisch betrachtet, ist der Fall unter anderem deswegen so interessant, weil man an seinem Beispiel gut den besonderen Status internationalen Rechts aufzeigen kann.

Recht und Moral sind nicht dasselbe

Zunächst einmal gilt es sich klarzumachen, dass Recht und Moral nicht dasselbe sind: Das positive, das heißt vom Staat gesetzte Recht muss nicht zwangsläufig moralisch oder gerecht im idealen Sinne sein. Es gibt, man denke nur an die Zeit der Corona-Maßnahmen zurück, auch ungerechte Gesetze. Dass das positive Recht sich an der Moral orientieren solle, ist selbst eine moralische und keine juristische Forderung. Andererseits ist es moralisch geboten, nicht alles, was moralisch gefordert ist, auch rechtlich zu kodifizieren.

Denn die Moral betrifft ja vor allem auch das, was im Herzen des Menschen vor sich geht, und nicht nur seine Taten. Ein Staat hingegen, der auch das Innenleben des Menschen kontrollieren und sanktionieren möchte, ist per Definition totalitär. Des Nächsten Hab und Gut zu begehren, ist moralisch falsch, strafbar aber – Gott sei Dank – nur der Diebstahl. Apropos Strafen: Während im Bereich der Moral die Möglichkeit von Sanktionen sich auf das soziale Umfeld und den unerbittlichen Urteilsspruch des eigenen Gewissens beschränkt, wird das positive Recht vom Staat – und zwar notfalls mit Gewalt – durchgesetzt.

Der realistische Blick Hegels

Komplizierter werden die Dinge nun, wenn man das innerstaatliche Recht überschreitet und sich auf die Ebene des Völkerrechts begibt. Hier stehen wir vor einem neuartigen Problem: Alle Regeln, Normen und Gesetze, die hier anzutreffen sind, unterscheiden sich vom staatlichen Recht in einem alles entscheidenden Punkt: Es gibt keine politische Instanz, die – analog zu einem Staat – das Gewaltmonopol innehätte, um das Recht zur Anwendung zu bringen. Der Philosoph G. W. F. Hegel hat in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ (1820) die Eigentümlichkeit der zwischenstaatlichen Situation treffend beschrieben: „Es gibt keinen Prätor, höchstens Schiedsrichter und Vermittler zwischen Staaten, und auch diese nur zufälligerweise, d. h. nach besonderen Willen.“

 

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Hegels Blick ist in diesem Fall von einem untrüglichen Realismus geprägt: Die Vorstellung, ein Staatenbund könne die Rolle eines einzelnen Staates eins zu eins ausfüllen und auf internationaler Ebene dauerhaft für Recht und Frieden sorgen, übersieht, dass dies nur unter der Voraussetzung funktioniert, dass sich alle Staaten einig sind. Eine solche Übereinstimmung mag in seltenen Situationen vorliegen, aber sie bleibt – wie auch die Geschichte überdeutlich zeigt – stets brüchig und daher unzuverlässig.

Selbst die Vereinten Nationen (VN) springen regelmäßig als Tiger und landen als Bettvorleger. Letztlich liegt nämlich auch bei den VN die Macht bei jenen Staaten, die militärisch und wirtschaftlich stark genug sind, um ein Vetorecht zu besitzen – oder um sich einfach nicht an die Beschlüsse halten zu müssen. Der IStGH mit Sitz in Den Haag ist nun aber nicht einmal Teil der VN, die über eine eigene internationale Gerichtsbarkeit verfügen, den Internationalen Gerichtshof. 

Die Durchsetzung des Haftbefehls wäre keine Rechtshandlung, sondern ein politischer Akt

Grundsätzlich nicht anerkannt werden die Urteile des IStGH etwa von China, Indien, Russland, der Türkei, den Vereinigten Staaten und eben auch Israel. Daher wäre jeder Versuch, einen Haftbefehl des IStGH auch gegen jene durchzusetzen, die diese Institution nicht anerkennen, gerade keine reine Rechtshandlung, sondern immer auch ein politischer Akt. Ja, im Grunde verbirgt sich auf internationaler Ebene unter der rechtlichen Maske stets ein politisches Antlitz. 

Das heißt nicht, dass es sich überhaupt nicht um „Recht“ handelt. Vielmehr muss man wohl mit Carl Schmitt sagen, dass sich die „Alternative von Recht und Politik […] im Völkerrecht nicht konsequent durchführen lässt“. Stattdessen finden wir auf dieser Ebene eine Art „politisches Recht“ vor.

Wer dies verstanden hat, wird sich nicht darüber wundern, dass Haftbefehle des IStGH – wie nun auch im Fall Netanjahu zu beobachten ist – vor allem als rhetorische Munition in einem politischen Kampf Verwendung finden.

 

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Kommentare

Kommentar
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Helene Dornfeld
Vor 1 Woche 5 Tage

Ja, sophistisch lese ich den Beitrag auch, sehe allerdings keinen Fingerzeig in die eine oder andere Richtung darin, frage mich, was will der Autor uns damit sagen?

Aber: 

Putin und Netanjahu sind nicht gleichzusetzen, Angriff und Verteidigung ist klar zu unterscheiden. Die Taktik der Hamas ist hinlänglich bekannt, Tunnel unter zivilen Einrichtungen zu bauen. Wie anders, als dass man die Bevölkerung jeweils vorwarnt, ist dieser Heimtücke zu begegnen? Das barbarische Gebaren von Hamas, Hisbollah und Houthi zeigt das ganze Ausmaß an Unzivilisiertheit, die inzw. auch unkontrolliert nach Europa hereinschwappt, und lässt hoffen, dass die einzige Demokratie im Nahen Osten standhält.

 

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Andreas Graf
Vor 1 Woche 4 Tage

Israel möchte ich nicht als Demokratie bezeichnen wollen. Da wäre ich vorsichtig. Es war hier schon einmal die Rede davon, dass Christen von strenggläubigen Juden auf der Straße offen angespuckt werden. Überall, wo Jesus Christus als der Gottmensch abgelehnt wird, sind Züge von Barbarei erkennbar. Im Islam ist das Ausmaß an Unzivilisiertheit allerdings besonders krass. Da stimme ich Ihnen zu.

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Andreas Graf
Vor 1 Woche 5 Tage

Juristisch-philosophische Abhandlungen sind meist reine Sophistereien, nur weil eine Rechtsetzung nicht anerkannt werden will. Wer die Verurteilung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seines früheren Verteidigungsministers Joaw Galant befürwortet, ist deswegen kein Feind Israels. Christen sollten unterscheiden können zwischen dem Judentum und dem politischen Zionismus, mit dem wir es hier zu tun haben. Zionisten sind genauso wenig Juden, wie Bergoglio ein Papst ist. Warum soll Netanjahu dürfen, was Putin nicht darf?

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Helene Dornfeld
Vor 1 Woche 5 Tage

Ja, sophistisch lese ich den Beitrag auch, sehe allerdings keinen Fingerzeig in die eine oder andere Richtung darin, frage mich, was will der Autor uns damit sagen?

Aber: 

Putin und Netanjahu sind nicht gleichzusetzen, Angriff und Verteidigung ist klar zu unterscheiden. Die Taktik der Hamas ist hinlänglich bekannt, Tunnel unter zivilen Einrichtungen zu bauen. Wie anders, als dass man die Bevölkerung jeweils vorwarnt, ist dieser Heimtücke zu begegnen? Das barbarische Gebaren von Hamas, Hisbollah und Houthi zeigt das ganze Ausmaß an Unzivilisiertheit, die inzw. auch unkontrolliert nach Europa hereinschwappt, und lässt hoffen, dass die einzige Demokratie im Nahen Osten standhält.

 

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Andreas Graf
Vor 1 Woche 4 Tage

Israel möchte ich nicht als Demokratie bezeichnen wollen. Da wäre ich vorsichtig. Es war hier schon einmal die Rede davon, dass Christen von strenggläubigen Juden auf der Straße offen angespuckt werden. Überall, wo Jesus Christus als der Gottmensch abgelehnt wird, sind Züge von Barbarei erkennbar. Im Islam ist das Ausmaß an Unzivilisiertheit allerdings besonders krass. Da stimme ich Ihnen zu.