Wie viel Geld ist zu viel Geld?
Die meisten Diabetiker sind vermutlich froh, dass es Willy Michel gibt. Der Schweizer Unternehmer konzentrierte sich in den 80er-Jahren nach dem Gang in die Selbständigkeit auf Innovationen rund um die Verabreichung von Insulin. Er wollte den Prozess schneller, einfacher, schmerzfreier machen. Seine Beobachtungen im eigenen Umfeld hatten ihm das Bedürfnis nach solchen Produkten deutlich gemacht – und ihn selbst im Lauf der Zeit zum Milliardär.
Hat Willy Michel mehr Geld verdient, als er jemals ausgeben kann, weil das sein erklärtes Ziel war? Vermutlich nicht. Der Reichtum kam mit dem Erfolg, und die Basis für diesen wiederum waren Erfindungen, die anderen Menschen das Leben leichter machen. Man kann, und mit diesem Gedanken tun sich viele Leute schwer, beides gleichzeitig: die Welt ein bisschen besser machen und damit Geld verdienen, im Fall von Michel sehr viel Geld.
Es droht Abwanderung
Leute wie er sind derzeit im Gespräch, weil Ende November in der Schweiz über eine Volksinitiative der Jungsozialisten (Juso) abgestimmt wird. Sie verlangt eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen Franken (rund 54 Millionen Euro). Der Vorlage werden wenig Chancen eingeräumt, aber das Vertrauensverhältnis zwischen der Bevölkerung und der Politik mit ihren Empfehlungen war auch schon größer; inzwischen kann förmlich alles passieren.
Bereits haben einige reiche Schweizer angekündigt, im Fall der Zustimmung das Land zu verlassen. Nicht, weil sie damit ihren Geldspeicher schützen wollen, sondern weil es diesen gar nicht gibt. Das Vermögen, das sie auf dem Papier besitzen, ist in den meisten Fällen angelegt in Betrieben, Betriebsstätten, Maschinen- und Fuhrparks. Die Betroffenen müssten ihre Unternehmen zerschlagen, um die neue Erbschaftssteuer bezahlen zu können.
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Auch der Insulin-König Willy Michel wäre im Zweifelsfall schnell weg Richtung Mailand, wie er im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung sagt. Allerdings taugt er dennoch nicht als Beispiel für das Klischee reicher Fahnenflüchtiger, die einfach verschwinden, um ihre Pfründe zu schützen. Michel ist kein genereller Gegner einer Erbschaftssteuer, fordert aber eine „mit Augenmaß“.
Zudem blickt er über seine eigene Situation hinaus, wenn er fragt, warum denn jemand noch ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen soll, wenn er möglichst nicht über 50 Millionen Franken Vermögen kommen soll, um nicht dafür abgestraft zu werden.
Ohne Reiche: leere Kassen
Stimmen wie die von Willy Michel und anderen Auswanderungswilligen werden von den Befürwortern der Initiative als Drohgebärde abgetan oder als Erpressungsmanöver verurteilt. Dabei ist es ganz einfach: Wer die Möglichkeit hat, zu gehen, wird das tun, wenn er damit seine persönliche Situation verbessern kann. Der ganz normale Schweizer hat diese Chance nicht. Aber auch er wird unter dem Exodus leiden. Denn die sogenannten „Superreichen“ sind verantwortlich für einen Löwenanteil des Steuersubstrats.
Rund 2.500 Personen in der Schweiz besitzen ein Vermögen, das über 50 Millionen Franken liegt. Gemeinsam kumulieren sie eines von knapp 500 Milliarden. Das mag für viele unanständig klingen, doch es gibt eine Wahrheit darüber hinaus. Mehr als die Hälfte der direkten Bundessteuer wird von gerade mal zwei Prozent der Privatpersonen einbezahlt. Die reichsten zehn Prozent in der Schweiz sind zuständig für 86 Prozent der Vermögenssteuer. Fällt all das weg, sind die Kassen des Staats schlicht gähnend leer. Die „Initiative für eine Zukunft“, wie die Jungsozialisten ihr Vorhaben genannt haben, nimmt dem Land also jede Zukunft.
Dass sich 45 Prozent des gesamten Vermögens in der Schweiz bei gerade mal einem Prozent der Bevölkerung ansammelt, mag man spontan als stoßend empfinden. Für den Alltag des einfachen Bürgers hat es aber keinerlei Relevanz. Er benötigt einen Staat, der seinen Aufgaben nachkommen kann, und dafür sorgt das besagte eine Prozent zum maßgeblichen Teil. Und er muss die Gewissheit haben, dass auch er selbst theoretisch zu den „Superreichen“ gehören könnte – wofür ihm die Schweiz mit ihrem freien Wirtschaftssystem die Möglichkeit durchaus gibt.
Zum Schaden für alle
Die Vision der Umverteilung des grenzenlosen Reichtums von wenigen auf alle hat seinen Charme, lässt aber die Tatsache aus, dass dieser Reichtum stets mit Handlungen einhergeht. Nicht immer von denen, die ihn aktuell besitzen, in einigen Fällen waren es auch die Vorfahren, die unternehmerischen Mut bewiesen haben. Aber zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte hat jemand etwas richtig gemacht, wurde dafür belohnt – und gibt dem Staat dafür fortlaufend überproportional etwas ab.
Wer dieses System, das zur wohlhabenden Schweiz geführt hat, torpedieren will, weil er entweder von Neid zerfressen oder von sozialistischen Fantasien beseelt ist, muss wissen: Er schadet damit niemandem mehr als denen, die er zu schützen vorgibt.
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Kommentare
Faktisch korrekt. Gut gebrüllt, Löwe !