Was hilft, wenn nichts mehr hilft

Mein ältester Sohn hat sich den Fuß beim Fußball gebrochen. Kompliziert. Und er lebt auch nicht gerade um die Ecke. Seine Mutter und meine Ex-Frau ist angehende Künstlerin, eine Chirurgin wäre jetzt entschieden praktischer. Meine fidelen Eltern haben sich in den Kopf gesetzt, in eine Wohnung zu ziehen, die sie schöner finden, sind nun aber auch schon 83. Da, wo ich arbeite, wird gerade die Achttagewoche ohne Lohnausgleich eingeführt. Der Tisch, auf dem meine wichtigen, aber leider noch unsortierten Unterlagen parken, ist so voll, dass ich die Tischplatte nicht mehr sehe. Der Wein ist alle, was eine Vorgeschichte und Nachwehen hat. Das Autoradio ist kaputt, die Hündin hat in den Hof gemacht, meine Frau Judith ist reingelatscht, der Haussegen hängt schief. Es ist sechs Uhr am Sonntagmorgen, und ich suche nach einer Inspiration. Immerhin, es wird ein sonniger Tag.
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Vielleicht sollte ich durch den Wald gehen, den Vögeln zuhören und schauen, wie die ersten Sonnenstrahlen golden durchs frische Grün leuchten. Vielleicht sollte ich zum Bäcker nebenan gehen, den Geruch von frischem Brot und dampfender Kaffeemaschine einatmen. Vielleicht sollte ich beim kleinsten Töchterchen durch den Türspalt linsen und sehen, wie sie irgendwo zwischen ihren Stofftieren friedlich und fernab von den Dramen der Großen schlummert. Vielleicht sollte ich prüfen, ob Judith doch noch einen Platz neben sich für mich hat. Oder in ein heißes Schaumbad steigen. „Alles gut“, sagen meine Kinder, was ich ihnen dann grundsätzlich und erst recht nicht glaube.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Vielleicht ist es ein bisschen besser, die Welt nicht immer durch den eigenen Kopf zu sehen. Wir haben einen neuen Papst, dessen Wahl mit Konklave und Rauch eine fröhlich singende Mehrheit von 2,4 Milliarden Christen nicht kaltgelassen hat. Wir haben einen neuen Kanzler, der seine neuen Kumpels aus Warschau, Paris und London in seine Karre lädt und in Kiew für Frieden sorgen will. Die Weltbevölkerung wächst, was zusammen mit der Tatsache, dass immer mehr auch satt werden, eine gute Nachricht ist. Das Ozonloch, dessen Ausbreitung die Apokalypse meiner Jugend gewesen ist, schrumpft dagegen, und die, die glaubten, dass der Planet daran zu Grunde geht, müssen sich nach neuen Katastrophen umschauen. Aids ist bezwungen, Corona besiegt, und gegen Schnupfen finden wir auch noch was.
Ich werde mich noch einmal umdrehen, eine Mütze voll Schlaf nehmen, vielleicht zieht irgendwann später der Kaffeeduft von Judiths Bella Macchina über unseren spätmorgendlichen Balkon, der auf den Hinterhof rausgeht, wo neuerdings eine Rapperin ihre Stimme hübsch trainiert. Vielleicht kann ich dann den Haussegen wieder richten, der Fuß wächst bestimmt zusammen, und dann kommt sie auch zu mir zurück, die Inspiration.
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