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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Kirche sucht Kunden

Aus den Schweizer Landeskirchen treten seit geraumer Zeit mehr Leute aus als ein. Der Anteil der Menschen mit einer anderen Religion sowie der Konfessionslosen steigt. Die Rechnung ist einfach: In der Schweiz leben damit anteilsmässig immer weniger Christen. Jedenfalls, wenn man die Zugehörigkeit zu einer Kirche als Maßstab nimmt. 

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) nimmt diese Erkenntnis zum Anlass, um die Frage zu stellen, ob diese Entwicklung nun gut oder schlecht sei. Immerhin sprechen wir hier von einer großen Umwälzung. Waren 1970 noch weit über 90 Prozent der Menschen Teil einer christlichen Konfession, sind es heute nur noch etwas über 50.

Die Zeitung kommt zum Schluss, in der Schwindsucht liege auch eine Chance. Wenn die Landeskirchen marginalisiert werden, so die These, müssten sie sich neu erfinden. Insbesondere, weil es ihnen irgendwann am Geld fehlt. Vielleicht, das meint jedenfalls die NZZ, wäre das gar nicht so übel. Fließen die Mittel nicht mehr einfach, wäre eine „stärkere Marktorientierung“ gefragt, die Kirchen müssten „ihr Profil schärfen“ und außerdem „vermehrt auf die Bedürfnisse ihrer ‘Kundinnen’ und ‘Kunden’“ eingehen. 

Wann ist man „christlich“?

Die wirtschaftsliberale NZZ geht die Frage, wie christlich die Schweiz noch ist, mit Zahlen und Fakten an. Das kann man ihr nicht verübeln. Aber der Titel, den sie über ihre Analyse setzt, ist eine gewagte Interpretation des aktuellen Trends. Dort heißt es nämlich:

Die Schweiz ist ein christliches Land. Sie wird es nicht mehr lange sein.

Bis zu welchem Punkt ist ein Land christlich? Ist die aktuelle Volkszählung für diese Definition ausschlaggebend? Ist die Steuerrechnung entscheidend? Oder muss man das „christlich“ anders lesen? Hat es eher mit den Werten zu tun, wie sie im Alltag gelebt werden? Mit den Maßstäben, die eine Gesellschaft an sich selbst legt? 

Die Schweiz ist schon lange kein Land mehr, in dem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Landeskirche eine Voraussetzung für Akzeptanz ist. Niemand zuckt zusammen, wenn das Gegenüber erklärt, es sei konfessionslos oder gehöre zur „falschen“ Kirche. Es ist durchaus positiv zu werten, dass man heute die Liebe seines Lebens nicht mehr ziehen lassen muss, weil sie nicht katholisch ist und den Segen der Eltern nicht erhalten würde.

Aber macht der Verzicht auf eine Mitgliedschaft in einer Landeskirche einen Menschen bereits „unchristlich“ und damit in letzter Konsequenz das ganze Land? Hat diese Einordnung nicht mehr zu tun mit der Lebensführung? Die Zahl derer, die sich als Christen bezeichnen, dürfte höher liegen, als es die Buchhaltung der Kirchensekretariate ausweist. Denn immer weniger sehen es als Voraussetzung dafür, ihr Christ-Sein organisiert auszuleben. Noch immer lebt eine Mehrheit ganz selbstverständlich christliche Werte, auch wenn sie nicht mehr so genannt werden. Vielleicht ist in der Schweiz die christliche Basis einfach so verinnerlicht und selbstverständlich geworden, dass man sie nicht mehr als solche wahrnimmt.

Chaotischer Aktivismus

Die NZZ blendet das aus und übernimmt bei der Analyse die Sichtweise eines Betriebswirtschaftsstudenten. Sinkende Zahlen bedeuten für sie die Suche nach einem neuen Geschäftsmodell. Es ist alles eine Frage des Marketings, dann klappt es irgendwann auch wieder mit den Zahlen. Doch „ausgezahlt“ in monetärer Hinsicht hat sich der Glaube in Form einer Kirchenmitgliedschaft noch nie. Es gab aber eine Zeit, in der viele dennoch fanden, es „lohne“ sich für sie. Müsste daher nicht eher die Frage sein, was da im Lauf der Zeit verloren ging? 

Man könnte, um der Zeitung zu widersprechen, auch zu einem anderen Schluss kommen. Es geht nicht um eine stärkere „Marktorientierung“, sondern um ein klareres Bekenntnis zum eigentlichen „Markt“. 

Beim verzweifelten Versuch, die Mitglieder und damit die eigene Bedeutung zu halten, haben sich die Landeskirchen in den vergangenen Jahren in chaotischer Weise in alle möglichen Richtungen bewegt und wurden zu Instrumenten des Aktivismus. Plötzlich waren die Kirchenbänke das Zentrum der Klimaschutzbewegung, von „woken“ Anliegen oder des Feminismus. 

Klimaschutz und Co. bringen die Menschen nicht näher zur Kirche

Das „Wort zum Sonntag“ im Schweizer Fernsehen wird der Frage gewidmet, warum man frischgebackene Mütter nach dem Geschlecht des Kindes frage, dieses sei doch bedeutungslos. Die reformierte Kirche des Kantons Zürich hat vor, die Klimaziele direkt nach der Bibel als wichtigste Schrift zu verankern. Die Landeskirchen setzen sich mehr für Glaubensrichtungen des Islams ein als für die eigene Religion.

Die Beispiele zeigen: Es gab und gibt also in der Tat Bestrebungen, neue „Kunden“ zu gewinnen. Diese nehmen es dankend zur Kenntnis, aber näher zur Kirche bringt es sie nicht. Dafür wenden sich die Menschen enttäuscht ab, die eine andere Vorstellung von gelebtem Christentum haben. Die alten gehen, die neuen bleiben draußen. Nach erfolgreicher Marketingstrategie klingt das nicht.

Mag sein, dass die Schweiz auf dem Papier nicht mehr lange ein „christliches Land“ ist. Aber gewisse Dinge sind tief in einem verankert. Offizielles Mitglied oder nicht: Es wäre die Aufgabe der Kirche, die Werte in der Gesellschaft zu stärken, die viele unbewusst in sich tragen. Das sind nach wie vor die christlichen Werte. Statistik hin oder her.

 

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