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Exklusiv: Debatte um „Schutzzonen“

Wie Abtreibungsbefürworter mit Fake News Politik machen

Eine breite Front von Abtreibungsbefürwortern will dem Negativ-Vorbild Deutschlands und Großbritanniens folgen und Bannmeilen rund um Abtreibungseinrichtungen errichten. Demonstrationen, Gebetsmahnwachen oder das Verteilen von Informationsmaterial wären dann in einem bestimmten Umkreis rund um Kliniken oder ambulante Praxen verboten. In Österreich ist euphemistisch von „Schutzzonen“ die Rede, so als ob die, die das Leben schützen und Frauen sowie ihren ungeborenen Kindern helfen wollen, irgendwie gefährlich wären.

Mit SPÖ, NEOS und Grünen sind gleich drei Parteien im Nationalrat dafür. Die aus ÖVP, SPÖ und NEOS bestehende Regierung ist gespalten. Wichtigste Treiberin des Vorhabens ist Bundesfrauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ). Sie begründet die Pläne von bundesweiten „Schutzzonen“ damit, dass Gesundheitspersonal und Frauen „wirklich aggressiv angegangen“ würden (Corrigenda berichtete).

Die Politik ist dazu da, das Zusammenleben in einer staatlichen Gesellschaft zu organisieren und zu gestalten. Dazu ist es erforderlich, Probleme zu lösen, die das Gemeinwesen betreffen. Treten Missstände auf, herrschen Ungerechtigkeiten, gibt es neue Herausforderungen, dann müssen Politiker auf rechtsstaatlicher und demokratischer Basis aktiv werden. Doch was ist, wenn Politiker Probleme erfinden und Missstände vortäuschen, um bestimmte Gesetze zu beschließen?

Polizei: Es gab in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen Vorfall

Genau das ist nämlich hier der Fall. Corrigenda hat alle neun Landespolizeidirektionen angefragt, ob es in den vergangenen 24 Monaten jemals einen Fall von Beleidigung, Nötigung oder gar tätlichem Angriff im Zusammenhang mit einer Kundgebung von Lebensschützern rund um eine Abtreibungseinrichtung gegeben habe.

Die Antwort: keinen einzigen! Die Landespolizeiinspektion Salzburg etwa teilte mit: „Im Stadtgebiet von Salzburg werden seit mehreren Jahren Kundgebungen bzw. ‘Gebetsmahnwachen’ von Abtreibungsgegnern abgehalten Dabei sind keine Vorfälle oder sonstige strafbare Handlungen im Zusammenhang mit den wiederkehrenden Demonstrationen bekannt.“ Auch in der Steiermark, Vorarlberg und in Niederösterreich gab es keine entsprechenden Vorkommnisse. Sogar in Wien, wo laut Polizei „phasenweise täglich Kundgebungen zum Thema Abtreibungen“ stattgefunden haben, gab es nicht einen derartigen Vorfall. 

In Tirol, Oberösterreich und Kärnten gab es erst gar keine Kundgebungen. Nicht reagiert hat lediglich die Polizei Burgenland, doch in dem kleinen Bundesland gibt es keine einzige Abtreibungseinrichtung, dementsprechend kann dort auch kein Personal und keine Frau „aggressiv angegangen“ worden sein. Das Frauenministerium ließ eine entsprechende Corrigenda-Anfrage trotz mehrfachen Insistierens unbeantwortet. 

ÖVP-Abgeordnete: „Gesetzesinitiativen auf Basis unbestätigter Behauptungen zeugen von einem problematischen Politikverständnis“

Warum aber sollten Politiker Probleme erfinden? Gibt es nicht schon genug zu tun? Österreich ist laut EU-Prognosen das einzige Land in dem Staatenverbund, dessen Bruttoinlandsprodukt 2025 sinkt. Die Inflation ist genauso wenig im Griff wie die Einwanderung. Und die demografische Verschiebung geht unaufhaltsam weiter.

Die ÖVP-Nationalratsabgeordnete und Menschenrechtssprecherin der Volkspartei, Gudrun Kugler, sagte auf Corrigenda-Anfrage:

„Von Verantwortungsträgern ist Respekt vor Fakten zu erwarten – auch wenn diese die eigene Ideologie nicht stützen. Gesetzesinitiativen auf Basis gewünschter Narrative oder unbestätigter Behauptungen zeugen von einem problematischen Politikverständnis. Anstatt sich an Fake News abzuarbeiten, gibt es genug reale Probleme, die entschlossenes Handeln verlangen.“

Auch wies sie darauf hin, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch dann gelte, „wenn es politisch unbequem ist. Es ist ortsbezogen und darf nicht nach Belieben der Politik eingeschränkt oder verlegt werden.“ Ebenso hat sie an die Lebensschützer ein Anliegen: „Dass laut Polizei keinerlei Übergriffe oder Störungen durch Lebensschützer gemeldet wurden, deckt sich mit meiner Beobachtung, und ich appelliere, dass dies auch künftig so bleibt.“ 

Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ): Will Bannmeilen rund um Abtreibungseinrichtungen
Gudrun Kugler (ÖVP): „Von Verantwortungsträgern ist Respekt vor Fakten zu erwarten – auch wenn diese die eigene Ideologie nicht stützen“

Verbündete findet Ministerin Holzleitner nicht in ihrem großen Koalitionspartner ÖVP, dafür aber bei den oppositionellen Grünen. Bereits Ende September hat federführend die Vorsitzende der Grünen Frauen, Meri Disoski, einen Änderungsantrag des Sicherheitspolizeigesetzes ins Parlament eingebracht. Seitdem versucht sie das Thema zusammen mit Vorfeldaktivisten am Kochen zu halten. Auch in dem Antrag verbreitet Disoski Falschbehauptungen. In der Begründung schreibt sie nämlich:

„Nicht zuletzt geschehen gezielte Belästigungen und Aufmärsche vor Abtreibungskliniken und Beratungsstellen durch Abtreibungsgegner:innen, wie wir sie in Österreich bereits seit Jahrzehnten erleben müssen. Ungewollt Schwangere und medizinisches Personal sind zum Teil täglich sogenannten ‘Gehsteigberatungen’ oder ‘Protestaktionen’ ausgesetzt, die immer radikalere Formen annehmen.“

Zudem fabuliert sie von einem „behinderten Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit“. Noch einmal zur Erinnerung: Es gab in den vergangenen zwei Jahren in Österreich keinen einzigen polizeilich dokumentierten Fall von einer irgendwie gearteten Bedrohung rund um eine Abtreibungseinrichtung im Zusammenhang mit Gebetsmahnwachen oder anderen Kundgebungen von Lebensschützern. Und mit geschätzt mehreren Zehntausend Abtreibungen pro Jahr kann es mit dem angeblich „behinderten Zugang“ nicht weit her sein. Geschätzt übrigens deswegen, weil Österreich eines der wenigen Länder ist, das keine Abtreibungszahlen erhebt und erst recht nicht nach Gründen für Abtreibungen fragt, damit Frauen im Schwangerschaftskonflikt geholfen werden könnte. Ein echter Missstand übrigens, den die Politik mit geringen Mitteln beheben könnte.

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Kein Wunder also, dass die 43-Jährige, die sich natürlich auch für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 96 StGB einsetzt, argumentativ auf andere Länder ausweichen muss: „In den vergangenen Jahren kam es in den USA, aber auch im benachbarten europäischen Ausland immer wieder zu teils auch gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen fundamentalen Abtreibungsgegner:innen und Gegendemonstrant:innen.“ Einen Beleg dafür bleibt sie schuldig. Auch in den von ihr in den Fußnoten angegebenen Quellen finden sich keine konkreten Beweise für Bedrohungen oder Übergriffe durch Lebensschützer. In einem Dokument von Amnesty International Österreich ist etwa groß von „Angriffen“ die Rede, gemeint sind dann aber zumeist nur Demonstrationen, die als „feindselig“ wahrgenommen werden. Doch auch Wahrnehmungen sind sehr subjektiv.

Meri Disoski (Grüne): Argumentiert juristisch fragwürdig und ohne konkrete Belege

Die zweite Strategie Disoskis und ihrer Mitstreiter ist es, von „psychischem Druck“ zu sprechen, dem schwangere, abtreibungswillige Frauen und medizinisches Personal ausgesetzt seien, wenn Lebensrechtler sie mit „fanatischen Plakaten, Rosenkränzen, Bibeln oder Gebetsbüchern“ konfrontierten. Abermals zur Erinnerung: Die österreichweit Schlagzeilen machenden Gebetsmahnwachen in Vorarlberg finden hinter einer Hecke statt, still und leise; ja, die Lebensrechtler dürfen noch nicht einmal Lieder singen. „Psychischer Druck“ ist zu einem signifikanten Teil auch immer subjektiv. Wer auf so einer Grundlage harte Einschränkungen der Grundrechte beschließen möchte, der öffnet staatlichem Missbrauch Tür und Tor.

Menschenrechtsorganisation: Grünen-Gesetzentwurf ist verfassungswidrig

Juristisch besonders fragwürdig wird es, wenn in dem Antrag von „bestimmten Tatsachen“ die Rede ist, aufgrund derer Belästigungen oder Blockaden zu befürchten seien. Geht es noch vager? Wer definiert diese völlig unbestimmten „bestimmten Tatsachen“?

Dementsprechend vernichtend fällt auch die Kritik an dem Gesetzentwurf der oppositionellen Grünen durch die Menschenrechtsorganisation ADF International aus. Der Antrag verstoße gleich gegen mehrere juristische Prinzipien, wie etwa das Bestimmtheitsgebot und Legalitätsprinzip. Auch gebe es keine Regelungslücke, weil das bestehende Recht ausreiche, um Störungen, Behinderungen oder Belästigungen zu unterbinden.

Überdies greife der Gesetzentwurf „unmittelbar in die Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit der Betenden ein. Sie kriminalisiert friedliche Ausdrucksformen wie Gebet, Gespräch oder das Überreichen von Informationsmaterial. Dadurch wird eine bestimmte weltanschauliche Haltung gezielt benachteiligt.“ Weder Schwangere noch medizinisches Personal hätten einen Anspruch darauf, „im öffentlichen Raum vor gegenteiligen Meinungen verschont zu bleiben. Das stille Beten, das Überreichen von Informationsblättern oder das persönliche Gespräch sind vom Schutzbereich der Meinungs- und Religionsfreiheit umfasst.“

Anders als in Deutschland und Großbritannien zum Zeitpunkt des Beschlusses der Bannmeilen-Gesetze haben die Abtreibungsbefürworter im österreichischen Parlament derzeit keine Mehrheit. ÖVP und FPÖ verfügen über 108 der 183 Sitze. SPÖ, NEOS und Grüne leidlich über 75. Für eine einfache Mehrheit sind jedoch 92 Stimmen nötig.

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