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Interview mit Pater Paulus-Maria Tautz CFR

„Die Qualität einer Nation hängt mit der Qualität der Männer zusammen“

Graue Kutte, grauer wollener Pileolus, grauer Bart: Wenn Pater Paulus auf den Bildschirmen auftaucht, ist das allein schon ob seiner äußeren Erscheinung ein Hingucker. Doch nicht nur deshalb. Paulus-Maria Tautz ist Mitglied bei den Franziskanern der Erneuerung, einem noch ziemlich jungen katholischen Bettelorden. Die Kapuziner-Ausgründung ist modern, aber nicht reformatorisch. Sie nutzt neue Medien, aber ohne sich anzupassen. Wie ihr Namensgeber, der heilige Franz von Assisi, gehen die Mönche zu denen, die ausgestoßen sind. Und dorthin, wo der katholische Glaube noch fern ist. In die New Yorker Bronx etwa oder in die moscheegesättigte englische Stadt Bradford – oder in den heutigen Osten Deutschlands. Dort, wo Pater Paulus herstammt. Und wo Katholiken eine Mini-Minderheit sind.

Am Samstag spricht der Bronxbrother auf dem Münchner Marsch fürs Leben. Wir haben ihn deshalb zum Gespräch gebeten: über die Missionierung in den östlichen Bundesländern, über den Zustand der Kirche in Deutschland und natürlich über die Relevanz der Lebensschutz-Bewegung in den USA und Deutschland.

Pater Paulus, dieser Tage redet die ganze Christenheit vom Heimgang von Papst Franziskus. Sind Sie dem verstorbenen Pontifex einmal persönlich begegnet oder haben Sie besondere Erinnerungen an ihn?

Nein, ich bin ihm nie persönlich begegnet. Zuerst möchte ich aber klarstellen, dass das Amt Petri für die Einheit in der katholischen Kirche existiert und schon von daher wichtig und richtig ist. Ich glaube auch, dass Papst Franziskus rechtmäßiger Papst war, obwohl das einige abgelehnt haben. Ich denke auch, dass der Heilige Geist bei der Papstwahl dabei war. Theologisch und politisch jedoch habe ich ihn so eingeschätzt, als wäre er ein Fußkranker der siebziger Jahre.

Welche „Fußkrankheiten“ waren es, unter denen Papst Franziskus Ihrer Einschätzung nach litt?

Er vertrat theologisch, so glaube ich, noch die siebziger Jahre: Die Frage um das Frauenpriestertum ist in vielen Nationalkirchen überhaupt kein Thema mehr, genauso wie Klimaschutz oder Gender-Ideologie. Das Verbot der „Alten Messe“ war wie eine Notbremse für eine Bewegung in der Kirche, die nicht mehr aufzuhalten ist. Globalisten geben sich im Vatikan die Klinke in die Hand. Emmanuel Macron war zum Beispiel sechs Mal zu Besuch und viele andere von dieser Kragenweite ebenso.

Die Liebe zu den Armen jedoch fand ich echt und berechtigt. Das schwierigste Kapitel jedoch war sicher die Corona-Krise, wo er vielleicht sogar in die Geschichte eingehen wird als erster Diktator des Vatikanstaates, indem er gegenüber allen seinen Einwohnern einen absoluten Impfzwang aussprach. Das galt auch allen Kardinälen. Das ist Ausdruck einer Mentalität von gestern. Trotzdem hat er Abtreibung und Euthanasie immer vehement verurteilt, und das sind starke Pluspunkte.

„Abtreibung bedeutet Krieg, Euthanasie, Depression und letztlich Untergang“

Sie leben in Ostdeutschland, also in einer der atheistischsten Regionen Europas. Haben Sie aufgrund der aktuellen Krisen in Deutschland und der Welt Zulauf?

Ich habe keine Pfarrei hier, aber mein Eindruck ist, dass vor allem junge Männer Orientierung und klare Verhältnisse wollen. Sie kommen jetzt verstärkt zurück in die Kirche. Leider sind die hiesigen katholischen Gemeinden noch anders unterwegs und kein sicherer Hafen für solche Suchenden, aber der Wind dreht sich, und ich rechne mit viel mehr Bekehrungen als zuvor. Der Nachholbedarf ist aber auch immens, denn wir sind hier nur etwa zwei Prozent Katholiken.

Pater Paulus auf einer Kundgebung für das Leben

Sie bieten unter anderem Einkehrtage speziell für Männer an. Worin besteht Ihrer Meinung nach die spezifische Krise des christlichen Mannes heute, und was kann man dagegen tun?

Das ist ein komplexes Thema. Jesus investierte fast die meiste Zeit seines Erdenlebens für Männer, weil sie nach dem Naturgesetz und dem regenerierenden Prinzip die geistliche Autorität und Leitungsfunktion haben. Wie wir bei den Aposteln sehen, hat das nichts mit Qualität zu tun, sondern einfach mit Berufung. Dieser Ruf zur Leitung lastet oft schwer auf den Männern, und sie würden das zu gern an Frauen delegieren, aber das funktioniert im Geistlichen sowie im Natürlichen nicht.

Und abseits der Kirche?

Die Lebensqualität einer Nation hängt mit der Qualität der Männer zusammen. Sie müssen versorgen, beschützen und leiten. Wenn der Mann diese Aufgabe nicht übernimmt oder aus verschiedenen Gründen nicht übernehmen kann, werden alle leiden. Der Mann muss seine natürliche Aufgabe zum Zeugen (Geben) im natürlichen und geistlichen Verständnis annehmen und somit das Leben (natürlich wie geistlich) schützen. Der Mann muss lernen, gut zu leiten und Entscheidungen zu treffen, und die Frau muss lernen, gut und weise zu beraten. Bei Gott gibt es keine Doppelspitze wie oft in Parteien. Wir sind wie eine Familie. Wir werden noch weitere Generationen von jungen Leuten verlieren, wenn der Mann nicht seine Vaterschaft übernimmt. Wenn der Papst, die Bischöfe und die christlichen Männer ihre Aufgaben und ihre Vaterschaft nicht annehmen und gut ausüben, werden die Menschen zum „Vater Staat“ fliehen müssen. Das wird nicht gutgehen, und am Ende sind wir alle pleite.

„Neuheidentum gepaart mit einem starken Nationalismus ist im Kommen“

Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen, wenn sie nicht an Gott glauben, Ersatzgöttern dienen. Woran halten sich die Menschen im Osten der Republik – aber nicht nur dort, die Säkularisierung ist ein allgemeines Phänomen – heute fest?

In Zeiten der Unsicherheit wird und wurde immer stark vereinfacht, meistens in schwarz und weiß. Der katholische Glaube ist für viele hier noch zu weit weg oder zu komplex. Neuheidentum gepaart mit einem starken Nationalismus ist im Kommen. Die Suche kann hier nicht einfach mit viel Geld zugestopft werden. Die meisten hier haben gar keine festen ehelichen Beziehungen, kein richtiges Privateigentum und manchmal keinen festen Wohnsitz. Sie sind wirklich auf der Suche und unterwegs. Die Kirche muss deshalb viel verkünden, erklären und einladen, aber dazu braucht es gut ausgebildete Laien und Priester, und leider ist das oft nicht der Fall. Ich habe als Ordensmann einfach Glück gehabt, dass ich so viele Jahre in verschiedenen Ländern leben und dadurch Erfahrungen sammeln konnte, wie man vor allem in der westlichen säkularen Gesellschaft missionieren kann.

Geht es den Menschen zu gut, dass sie glauben, sie bräuchten Gott nicht?

Zu gut geht es hier wenigen, aber durch die größeren Ängste und Nöte werden mehr Fragen gestellt. Die Leute stehen hier oft vor dem Trümmerhaufen ihres eigenen Handelns. Niemand hat ihnen auch gesagt, wie es richtig laufen muss, damit Leben gelingt und durch Tugenden und das Evangelium erfolgreich werden kann. Jetzt müsste eigentlich die Kirche antworten. Ich glaube, dass die Leute so offen wie selten für die Botschaft der Kirche sind, aber die hat die gleichen Probleme hier wie in Westdeutschland, und sie ist nicht frei genug.

Was meinen Sie mit unfrei?

Die Kirche in Deutschland hängt am finanziellen Tropf des Staates und hat sich durch Häresie ins Abseits geschossen. Im August 1968 gab es die „Königsteiner Erklärung“ vieler deutscher Bischöfe, was ein offener Ungehorsam dem Papst gegenüber war und die Morallehre der katholischen Kirche besonders in Lebensschutzfragen untergrub. Diese klaffende Wunde ist seither nie richtig geheilt und blutet weiter, wie wir das heute immer wieder unter den Bischöfen erleben. Gleichzeitig kenne ich keine andere Nationalkirche in der Welt, die so mit dem Staat verbunden ist wie die deutsche katholische Kirche. Die anglikanische Kirche kommt dem deutschen Modell sehr nahe oder die Situation in China. In beiden Fällen läuft es nicht gut.

Zur Person Paulus-Maria Tautz CFR

Paulus-Maria Tautz ist 1968 in Pirna bei Dresden geboren. Nach einer Ausbildung zum Porzellangestalter trat er 1989 den Franziskanern in Halberstadt bei und studierte Bildende Kunst in Freiburg im Breisgau. 1999 wechselte er zu den Franziskanern der Erneuerung in New York und studierte Philosophie und Theologie in Connecticut. 2007 ist er in der Patrick’s Cathedral in New York City zum Priester geweiht worden. Nach Stationen in Irland und England lebt er seit 2013 in Deutschland und ist für die Mission in den östlichen Bundesländern sowie für die Männerseelsorge zuständig. Er ist der Initiator der Gig-Festivals („Gott ist gut“) und Gig-Konferenzen und baut momentan ein apostolisches Haus in der Sächsischen Schweiz bei Dresden aus. Pater Paulus bietet zudem Einkehrtage für Männer an, an denen inzwischen mehr als 1.000 jährlich teilnehmen (https://gottessoehne.de/). Zur Website des Ordens: franziskaner-der-erneuerung.de.

Im fernen Jahr 1999 sind Sie nach New York aufgebrochen und den Franziskanern der Erneuerung beigetreten. Sie missionierten in der Bronx. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Was mir damals gleich auffiel, war der unkomplizierte Kontakt zu den Leuten auf der Straße. Auch haben wir ständig Hausbesuche gemacht. Das nennt man „Go-Pastorale“. Die Kirche ist dort viel mehr unterwegs zu den Menschen. Dazu lässt man sich etwas einfallen, denn die Konkurrenz durch die Freikirchen ist groß. Da muss man sich Mühe geben, freundlich sein, klare Kante bieten und ein eigenes Profil zeigen. Das hat mich alles stark beeindruckt.

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Als papabile gilt der US-amerikanische Kardinal Timothy Dolan. Sind Sie ihm und anderen Kirchenmännern der USA in Ihrer Arbeit begegnet – und welche Chancen würde ein erster US-Amerikaner auf dem Stuhl Petri mit sich bringen?

Kardinal Timothy Dolan habe ich nur noch aus der Ferne kennengelernt, da ich im Sommer 2007 schon in Irland war. Die amerikanischen Kardinäle könnten mehr Pragmatismus und Dynamik reinbringen. Die USA gehen durch eine große Veränderung momentan. Die Menschen dort sind ziemlich flexibel und haben keine Angst vor den neuen sozialen Medien. Das könnten solche Kardinäle einbringen.

„Wir müssen das Unterhaltungsprogramm stoppen und endlich an dieser wichtigen Frage arbeiten“

Sie erwähnten, in den USA seien Sie erstmals mit der Lebensrechtsbewegung in Kontakt gekommen. Am Wochenende sprechen Sie auf dem Münchner Marsch fürs Leben. Warum setzen Sie sich nun genau dafür ein? Sie hätten bestimmt auch noch weitere Projekte, die Ihrer Energie und Zeit bedürften.

Die Pro-Life-Arbeit ist die wichtigste, denn ohne Leben läuft gar nichts! Das Recht auf Leben kommt vor allen anderen Rechten. Das müssen wir in Deutschland noch lernen. Das ist ein echter Kampf mit vielen Entbehrungen, was wir in Deutschland so nicht gewohnt sind. Wir sterben lieber aus, als dass wir uns die echten Fragen stellen: Warum habe ich keine Familie, oder warum hat unsere Familie nur drei Kinder und so weiter. Bei der Pro-Life-Arbeit geht es um Leben und Tod, Gott oder den Teufel, und das ist immer dramatisch und konfliktreich. Ein gutes Bild ist für mich der Untergang der Titanic: Bis zur letzten Minute hat das Orchester dort gespielt, damit die Leute so spät wie möglich merken, dass das gesamte Schiff gerade untergeht. Wir müssen das Unterhaltungsprogramm stoppen und endlich an dieser wichtigen Frage arbeiten.

Können Lebensschützer in Deutschland etwas von der Pro-Life-Bewegung in den USA lernen?

Die Pro-Lifer in den USA sind mutig und opferbereit. Das hat mich immer beeindruckt. Wir müssen wieder für das Gute kämpfen lernen! Mein Mitbruder, Father Fidelis CFR, und alle unsere Ordensgründer waren wegen der Pro-Life-Arbeit im Gefängnis, weil sie sich gesagt haben, dass menschenfeindliche Gesetze gebrochen werden müssen. Das nenne ich mutig. Wir haben schon Angst, auf einer menschenleeren Straße am Sonntagmorgen auf dem Weg zur heiligen Messe als Fußgänger bei Rot über die Straße zu gehen. Gleichzeitig geht es bei der Pro-Life-Arbeit nicht nur um Gesetze, sondern um die Veränderung unseres ganzen Lebensstils. Die jungen Mütter retten ihre Babies und nicht die Pro-Lifer! Tun wir genug für diese jungen Frauen? Tun wir genug für junge Familien, wenn sie mehr Kinder als „normal“ haben? Wir haben in Deutschland mindestens 20 Jahre in der Pro-Life-Arbeit nachzuholen.

Tun die Kirchen genug für das ungeborene Leben?

Die katholische Kirche in Deutschland hat wie fast überall keinen Plan. So auch in der Pro-Life-Arbeit. In den USA müssen alle Bischöfe antreten, sonst gibt es echten Stress mit den Gläubigen. Das könnte vielen deutschen Bischöfen auch nicht passieren, weil sie die Gläubigen noch nicht brauchen. Aber für mich trägt die katholische Kirche die Hauptschuld bei dem Problem der Abtreibung, weil sie es besser wissen müsste. Wir wissen genau, was es heißt, wenn ein Land 100.000 bis 200.000 Kinder jährlich tötet: Es kann so nicht lange überleben! Die Frucht der Abtreibung ist Krieg, Altersarmut, Euthanasie, Depression, Einsamkeit und letztlich Untergang. Die Bischöfe als Nachfolger der Apostel müssen warnen, lehren, befreien und leiten. Sie sind die Väter, Lehrer und Exorzisten ihrer Diözesen.

„Die Familie ist keine Nebensache!“

Sie haben die Kinderanzahl angesprochen. Eine wirkliche Offenheit für Großfamilien ist auch unter Katholiken selten geworden. Was müsste mental passieren, damit es zu einer Renaissance kinderreicher Familien kommt?

Mut zu Kindern heißt Mut zum Verzicht. Es findet aktuell eine echte Benachteiligung von Familien statt. Wer Kinder hat, ist finanziell schlechter gestellt. Die Banken geben kaum Kredite an Familien, wo die Mutter zu Hause arbeitet. Dabei ist die Familie die gesündeste Form und Keimzelle einer Gesellschaft. Gerade uns Katholiken muss klar werden, dass Jesus seine Erlösung der Menschheit in einer Familie von Nazareth begonnen hat. Die Familie ist keine Nebensache! Viele junge Leute machen sich zu wenig Gedanken um ihre Berufung, die ja zu 90 Prozent die Familie ist. Kirche und Gesellschaft müssen ihnen helfen, dieser Verantwortung gewachsen zu sein. Die jungen Leute verlassen die langen Jahre deutscher Bildung, ohne je etwas über Vaterschaft und Mutterschaft gehört zu haben. Völlig ahnungslos verpassen sie oft die wichtigsten Jahre ihres Lebens, wo sie eigentlich Familien hätten gründen müssen.

Nehmen wir an, ich wäre ein Corrigenda-Leser, der noch nicht ganz überzeugt ist, ob er am Marsch fürs Leben in München teilnehmen soll. Überzeugen Sie mich!

Der Marsch für das Leben ist ein wichtiger Ausdruck einer Kultur des Lebens. Wir müssen uns entscheiden: In welcher Kultur möchten wir leben – in der des Todes oder des Lebens? Die Kultur des Lebens muss aber eine Kultur der Liebe sein. In München üben wir diese Kultur ein. Viele Menschen verschiedener Herkunft, verschiedenen Alters und Geschlechtes kommen zusammen, um zu zeigen, dass jeder Mensch – egal wie jung oder altgesund oder krank – willkommen ist und gebraucht wird. Es ist kein Protest, der sich nur gegen Abtreibung und Euthanasie stellt, sondern der Marsch für das Leben in München ist eine Manifestation für den Wert des Lebens. Wir zeigen damit die existentielle Wichtigkeit der Liebe in einer mehr und mehr erkalteten Gesellschaft. Das wollen wir nicht allein tun oder nur als Christen, sondern mit allen Menschen, die gerne leben und das auch allen anderen wünschen.

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