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Lehren aus der Geschichte ziehen

Die Demokratie schützen heißt, die „spirituelle Kollektivierung“ bekämpfen

Angesichts der jüngsten Pläne der Bundesregierung zu einem „Demokratiefördergesetz“ warnt Lukas Steinwandter vor einer drohenden autoritären Demokratie. In diesen Tagen ist es beliebt geworden, Parallelen zur Weimarer Republik zu ziehen und vor einer Wiederholung der Geschichte zu warnen. Da scheint es doch angemessen, zurückzuschauen, welche Faktoren damals den Sieg des Totalitarismus begünstigten. Eine Interpretation bietet der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Röpke, einer der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft.

In seinem 1942 in der Schweiz erschienenen Buch „Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart“ sieht er die wichtigste Voraussetzung für den Sieg des Totalitarismus in einer vorhergehenden „spirituellen Kollektivierung“, welche die Menschen geistig auf den totalitären Staat vorbereitet habe. In Röpkes Worten:

„Die Bewohner eines großen Mehrfamilienhauses sind einander völlig Fremde und treffen sich vielleicht das erste Mal im Bunker, aber auf der anderen Seite haben sie die engsten anonymen Beziehungen mit der Gesamtheit ihrer Mitmenschen; Beziehungen einer äußerlichen und mechanischen Art: als Käufer und Verkäufer, als Glieder einer sich gegenseitig anrempelnden Menge, als Wähler, Radiohörer und Kinobesucher, die dieselben akustischen und optischen Eindrücke mit Millionen anderen teilen, als Steuerzahler, Empfänger von Pensionen und anderen staatlichen Leistungen, als Mitglieder von Krankenversicherungen und dieser oder jener anderen zentral organisierten Vereinigung.“

Und weiter:

„An die Stelle einer echten Integration geschaffen durch echte Gemeinschaften, welche die Bindungen der Nähe, natürlicher Wurzeln und die Wärme direkter menschlicher Beziehungen erfordern, ist eine Pseudo-Integration getreten, geschaffen durch den Markt, Wettbewerb, zentrale Organisation, Mietshäuser, Wahlzettel, Polizei, Gesetzen, Massenproduktion, Massenamüsement, Massenemotionen und Massenerziehung; eine Pseudo-Integration, die ihren Höhepunkt im kollektivistischen Staat erreicht.“

Familie nur noch als gemeinsame Wohnadresse

Dieser kollektivistische Staat wiederum ist, wie Röpke an anderer Stelle ausführt, aufgrund der in ihm erforderlichen zentralen Planung jeglicher Prozesse mit einer liberalen Demokratie gänzlich unvereinbar und erfordert unweigerlich einen bürokratischen Despotismus. Das größte Interesse an einem solchen System habe daher das intellektuelle Proletariat, das sich in ihm Status und Macht erhoffe. Dies sei eine Erklärung dafür, dass im akademischen Milieu sich so viele Sympathisanten des Sozialismus fänden. Ihren echten Idealismus will Röpke ihnen dabei gar nicht absprechen.

Einen wichtigen Aspekt der spirituellen Kollektivierung bezeichnet Röpke dabei als Proletarisierung. Hierunter versteht Röpke – wie die Rede von intellektuellem Proletariat schon zeigt – nicht etwa einfach nur materielle Armut, sondern neben der Monotonie der damaligen Fabrikarbeit vor allem eine Zusammenballung der Menschen in den Städten, die Dominanz von Lohnarbeit und die verbreitete Unmöglichkeit, (vor allem Wohn-)Eigentum zu erwerben.

Dies geht einher mit einem Niedergang der Familie, die er schlussendlich zu einer reinen gemeinsamen Wohnadresse reduziert sieht, während der Staat immer umfassender Bildung und Erziehung monopolisiere – und dies lange bevor die Doppelverdienerehe außerhalb von Kriegszeiten zur gesellschaftlichen Norm erhoben wurde, ein künftiger Bundeskanzler für seine Partei die „Lufthoheit über die Kinderbetten“ als politisches Ziel ausgab und infolge dieser Entwicklung Kinder immer früher und immer umfangreicher in semistaatliche Einrichtungen gelangen.

Die Familie als Produktions– und Wirtschaftsgemeinschaft

Auch den Wohlfahrtsstaat sieht Röpke in diesem Zusammenhang in der Verantwortung, insofern er zwischenmenschliche Solidarität durch anonym-unpersönliche Solidarität ersetze und dadurch Eigenverantwortung und infolge die Verantwortung für den Nächsten in Familie, Nachbarschaft und Beruf untergrabe.

Wilhelm Röpke

Als Gegenprogramm zu dieser Entwicklung schlug Röpke mitten im Zweiten Weltkrieg eine Reihe von Maßnahmen vor. Diese beinhalten eine möglichst breite Verteilung von Eigentum, eine möglichst umfassende Dezentralisierung im ökonomischen und politischen Bereich – inklusive Antimonopolgesetzgebung und Entflechtung großer Konzerne – sowie die Förderung kleiner Produktions- und Siedlungseinheiten.

Das eigene Haus sollte dabei der Familie nicht nur ein Zuhause bieten, sondern mit dem eigenen Garten auch eine teilweise Selbstversorgung ermöglichen.

Diese sollte der Familie nicht nur eine gewisse Unabhängigkeit vom Markt – und vom Staat – verschaffen, sondern sie zugleich auch wieder ein Stück weit als Produktions– und Wirtschaftsgemeinschaft wiederherstellen. Sein Ziel war eine 

„Gesellschaft, in der die größtmögliche Zahl an Menschen ein Leben führt, das gegründet ist auf Privateigentum und eine selbstgewählte Beschäftigung, ein Leben, das ihnen innere und, soweit möglich, äußere Unabhängigkeit bietet, die es ihnen ermöglicht, wirklich frei zu sein und ökonomische Freiheit als eine Selbstverständlichkeit anzusehen.“

Mehr als die Hälfte lebt zur Miete, mehr als ein Drittel der Kleinstkinder wird fremdbetreut

Als Land, das diesem Ideal sehr nahekam, erschien ihm damals die Schweiz – das Land, in das er vor der Diktatur der Nationalsozialisten geflohen war, weshalb sein Buch auch zuerst dort und nicht in seinem Heimatland Deutschland erschien.

Wie eingangs festgestellt, gilt Röpke als einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft. Doch deren Umsetzung in der Praxis betrachtete er mit einer zunehmenden Skepsis. Adenauers Rentenreform von 1957 quittierte er in seinen 1958 erschienenen „Gefahren des Wohlfahrtsstaates“ etwa mit der Frage, ob es „etwa ein Fortschritt (ist), wenn wir den Kreis der als wirtschaftlich unmündig zu Behandelnden und daher vom Kolossalvormund Staat zu Betreuenden immer weiter ziehen?“

Im selben Zug warnte er davor, dass durch die infolge der Rentenreform gestiegene Staatsquote die „Macht des nationalen Staates vermehrt“ werde und eine „Politisierung“ der Lebensvorsorge drohe. Zur historischen Einordnung: 1960, also drei Jahre nach der Rentenreform, lag die Staatsquote noch bei 32,9 Prozent, 2022 dagegen bei 49,8 Prozent.

Heute befinden sich in Deutschland 91 Prozent der erwerbstätigen Menschen in Lohnarbeit, knapp 78 Prozent leben in Städten, 50,5 Prozent leben zur Miete. Was Lohnabhängigkeit und Miete betrifft, sind dies die Spitzenwerte in der ganzen EU. Bereits 35,5 Prozent der unter Dreijährigen werden in Einrichtungen fremdbetreut; Tendenz steigend. Wenn berücksichtigt wird, dass – in der Regel – für die ersten zwölf Monate Elterngeld gezahlt wird, muss man konstatieren, dass schon wohl rund die Hälfte der Ein- bis Dreijährigen einen beträchtlichen Teil ihrer jungen Lebenszeit in Kindertageseinrichtungen verbringen. 2026 soll der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder folgen. Die Kollektivierung der Kindererziehung und die Verstaatlichung der Familie schreiten damit weiter voran.

Der spirituellen Kollektivierung etwas entgegensetzen

Ob die Demokratie nun von rechts oder von links bedroht wird – vielleicht wäre es an der Zeit, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen und der spirituellen Kollektivierung etwas entgegenzusetzen, solange noch Zeit dazu ist.

Eine Demokratieförderung, die diesen Namen verdient, beinhaltet daher einen Rahmen, der es Familien ermöglicht, Rücklagen zu bilden, um Eigentum zu schaffen. Dies erfordert niedrige Steuern, inkl. der Beibehaltung des Ehegattensplittings, und eine niedrige Inflation. Eine Politik des billigen Geldes auf Kosten der Sparer untergräbt die Substanz des freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens. Die Schuldenbremse muss vor diesem Hintergrund als wichtiger Baustein der Demokratieförderung anerkannt und geachtet werden.

Dies könnte unter anderem durch eine Abschaffung des ohnehin nur hypothetisch bestehenden Anspruchs auf einen Kita-Platz (und des noch ausstehenden auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder) geschehen sowie durch ein drastisches Verringern der erheblichen Subventionierung institutionalisierter Kleinkinderbetreuung; die freiwerdenden Mittel könnten besser auf Familien mit erhöhtem Integrationsbedarf sowie Familien aus sozialen Brennpunkten konzentriert werden. Dies wäre auch eine schnelle und effektive Abhilfe für die Kita-Krise.

Das wäre gelebtes Subsidiaritätsprinzip

Familien, die in der Lage sind, Eigentum zu bilden, sind auch eher in der Lage, für ihre Angehörigen zu sorgen und die Erziehung ihrer Kinder selbst wahrzunehmen. Dies ist gelebtes Subsidiaritätsprinzip, wonach übergeordnete Einheiten nicht übernehmen dürfen, was kleinere Einheiten selbst leisten können.

Damit dies vom Staat aber nicht nur geduldet, sondern auch gefördert wird, braucht es eine Abkehr vom gegenwärtigen Rentensystem, welches den Staat unter den Zwang stellt, beständig neue Sozialversicherungsbeitragszahler aus dem In- und Ausland zu generieren, um das System am Laufen zu halten.

Röpkes Vision sah hier Eigenverantwortung gepaart mit freiwilliger Gruppenvorsorge vor. Gegen eine staatliche Grundsicherung im Falle der Bedürftigkeit spricht das nicht. Ein Ausstieg aus dem gegenwärtigen System wäre zum Beispiel möglich, indem die Ansprüche zu einem festzulegenden Tag X eingefroren und entweder einmalig oder sukzessive – auch aus Steuermitteln finanziert – ausgezahlt würden und gleichzeitig ab dem Tag X keine weiteren Beiträge mehr eingezogen würden.

Die aktuelle Diskussion um die von der Bundesregierung geplante Aktienrente zeigt, dass das bisherige, umlagefinanzierte System an seine Grenze gekommen ist. Der Plan der Bundesregierung setzt jedoch an die Stelle von Eigenverantwortung gepaart mit freiwilliger Gruppenvorsorge „die exklusive Kombination Markt-Staat“, die den Gemeinschaftssinn zersetzt, um Papst Benedikt XVI. zu zitieren (vgl. „Caritas in Veritate“ 39).

Den ländlichen Raum wiederzubeleben ist nicht dadurch zu bewerkstelligen, dass sämtliche Vorzüge der Stadt, die es ja durchaus gibt, auch auf das Land übertragen werden. Gegen eine solche Urbanisierung und Kommerzialisierung des ländlichen Raumes hat sich Röpke explizit ausgesprochen.

Die Ernährungswende als ein Lösungsansatz

Schnelles und verlässliches Internet in der Fläche wird man heute jedoch wohl tatsächlich als Grundvoraussetzung ansehen müssen, ebenso wie das Vorhandensein hinreichender und hinreichend attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten. Gerade das Internet hat hier ja bereits für viele eine Bresche geschlagen. Andererseits werden auch auf lange Sicht längst nicht alle Bürger Tätigkeiten am Computer nachgehen können oder auch wollen. Auch diese Menschen brauchen Arbeit.

Einen Lösungsansatz hierfür bietet etwa die Ernährungswende mit einer zumindest teilweisen Abkehr von der industriellen hin zu einer mehr kleinbäuerlich geprägten Landwirtschaft. Für Röpke war der Bauer eine unverzichtbare Stütze eines freien Gemeinwesens. Darüber hinaus sah Röpke aber auch die Notwendigkeit, dass Forschung und Entwicklung einen Fokus auf technische Lösungen für kleine und mittlere Betriebe legen – und dass dieser Fokus bereits fester Bestandteil der Ausbildung der Ingenieure (und heute Informatiker) sein muss. 

Nur so können auf dem Land auch ganz neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen, an die heute vielleicht kaum einer denkt. Staatlicherseits gehört hierhin auch ein entschiedener Bürokratieabbau zugunsten kleiner und mittlerer Betriebe. Bei all diesen Punkten könnte eine echte, nachhaltige Demokratieförderung ansetzen.

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Kommentare

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Veritas
Vor 8 Monate 1 Woche

Danke für diesen Beitrag, geschätzter Herr Vetterle, ich empfinde es sehr wohltuend, hier eine Stimme pro Marktwirtschaft zu lesen, die aber gleichzeitig vor der Kommodifizierung des gesamten Lebens warnt. Das Leben, und damit auch die gesellschaftlichen Bereiche, sind nicht nur schwarz-weiß, zumindest wenn man das Menschliche wahren möchte.

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Andreas Graf
Vor 8 Monate 1 Woche

Der Demokratieansatz von Wilhelm Röpke dürfte längst der Vergangenheit angehören. Er war ein Kind seiner Zeit. Die Migranten betrachten Deutschland längst als dem Islam und der Scharia zugehörig. Deswegen sind sie ja gekommen, um Deutschland für den Islam zu erobern. Soweit hätte es nicht kommen müssen, wäre die Familie in der Vergangenheit gefördert und wertgeschätzt worden, wie es Röpke forderte. Dafür ist es jetzt längst zu spät.

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Demos Atheist
Vor 8 Monate 1 Woche

Guter und wichtiger Beitrag. Fürchte nur, der "Gott, der keiner ist" (H.H.Hoppe über den Demos), führt bereits stiefelhoch in den Mist des kollektivistischen Spiritismus.

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Andreas Graf
Vor 8 Monate 1 Woche

Der Demokratieansatz von Wilhelm Röpke dürfte längst der Vergangenheit angehören. Er war ein Kind seiner Zeit. Die Migranten betrachten Deutschland längst als dem Islam und der Scharia zugehörig. Deswegen sind sie ja gekommen, um Deutschland für den Islam zu erobern. Soweit hätte es nicht kommen müssen, wäre die Familie in der Vergangenheit gefördert und wertgeschätzt worden, wie es Röpke forderte. Dafür ist es jetzt längst zu spät.

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Demos Atheist
Vor 8 Monate 1 Woche

Guter und wichtiger Beitrag. Fürchte nur, der "Gott, der keiner ist" (H.H.Hoppe über den Demos), führt bereits stiefelhoch in den Mist des kollektivistischen Spiritismus.

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Veritas
Vor 8 Monate 1 Woche

Danke für diesen Beitrag, geschätzter Herr Vetterle, ich empfinde es sehr wohltuend, hier eine Stimme pro Marktwirtschaft zu lesen, die aber gleichzeitig vor der Kommodifizierung des gesamten Lebens warnt. Das Leben, und damit auch die gesellschaftlichen Bereiche, sind nicht nur schwarz-weiß, zumindest wenn man das Menschliche wahren möchte.