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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Gesundheitsapostel am Ruder

Der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, ist eine harmonische Truppe. Er ist, obwohl parteipolitisch divers aufgestellt, stets einhelliger Meinung. Natürlich nicht wirklich, aber es klingt immerhin so. Denn im Bundesrat gilt das sogenannte Kollegialitätsprinzip. Was auch immer hinter verschlossenen Türen beschlossen wird: Alle sieben Mitglieder tun danach vor der Öffentlichkeit so, als seien sie damit einverstanden.

Hört man genau hin, offenbaren sich aber da und dort Unterschiede. Zum Beispiel beim Thema Alkohol.

Guy Parmelin, Regierungsmitglied und Landwirtschaftsminister von der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), beklagte sich vor einigen Monaten über den sinkenden Konsum beim Wein in der Schweiz; dieser fiel von 2023 auf 2024 um fast acht Prozent. Er wünschte sich, die Schweizer würden mehr trinken, aber zwingen könne man die Leute ja nicht, so Parmelin.

Ganz anders seine Kollegin, Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider von den Sozialdemokraten. Sie verwies vor kurzem auf wissenschaftliche Studien, die zeigen sollen, dass Alkohol schon in moderaten Mengen die Gesundheit schädigen könne und redete damit im Grunde einer Null-Promille-Politik das Wort.

Jeder Schluck ist „bedenklich“

Zwei Meinungen aus zwei verschiedenen Welten. Zwar stammen beide Politiker aus der französischsprachigen Westschweiz, aber ihre Leidenschaften könnten unterschiedlicher nicht sein. Baume-Schneider züchtet in ihrer Freizeit Schwarznasenschafe. Parmelin war vor seiner Wahl in den Bundesrat Weinbauer.

Die in einem Nebensatz hingeworfenen Urteile aus der Vergangenheit bekommen nun Gewicht. Denn die Schweiz debattiert darüber, ob die neuen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Alkohol übernommen werden sollen. Diese liegen auf der Linie der Sozialdemokratin. Sie besagen, dass schon ein Schluck zu viel sei. Die frühere Lebensweisheit, wonach ein gelegentliches Glas Wein sogar gesund, sicher aber nicht problematisch sei, soll verschwinden. Im Originalton der WHO: Geht es um Alkohol, „gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge“.

Die Schweizer Alkohollobby ist alarmiert, eine erste Medieninformation – natürlich bei einem guten Glas Schweizer Weißwein – fand bereits statt. Mehrere Politiker konnten für eine Gegenoffensive gewonnen werden. Das Ziel: Die Empfehlungen der WHO sollen an der Schweizer Grenze Halt machen.

Schlechte Publicity für Alkohol

Der Grund für die Aufregung: Schon bald geht es um die Wurst, Pardon, den Chardonnay. Im Parlament wird demnächst darüber debattiert, wie das Bundesamt für Gesundheit mit der neuen Definition der WHO umgehen soll. Zwar würde die Schweiz nicht gerade in die Prohibition rutschen, wenn diese zur Leitlinie würde. Aber atmosphärisch, so die Wein- und Bierproduzenten, wäre es verhängnisvoll.

Immerhin sinken die Absätze schon seit Jahren, und es drohe eine Verstärkung der „negativen Wahrnehmung“ gegenüber alkoholischen Getränken. Denn das Bundesamt für Gesundheit könnte in ihren Präventionskampagnen dann vollmundig davor warnen, dass jeder Schluck einer zu viel ist. Und das in einem Land, in dem die Polizei früher sogar im Kampf gegen betrunkene Autolenker Plakate anbrachte, auf denen stand: „Ein Glas ist ok.“

Die Gegner der WHO-Empfehlung wünschen sich vor deren Übernahme eine vertiefte Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das kann heiter werden. Was beispielsweise soll man daraus schließen, dass moderater Alkoholkonsum das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall reduziert – aber gleichzeitig das Brustkrebsrisiko erhöht? Wer will sich da schon bewusst für eine Variante entscheiden?

Gewarnt wird sowieso

Beim näheren Hinsehen ist die gesamte Debatte überflüssig. Ob die Schweiz nun einen eigenen Kurs hält oder auf den der Weltgesundheitsorganisation einschwenkt: Auf die generelle Botschaft des Bundes an die Bevölkerung wird das kaum Einfluss haben.

Denn das Bundesamt für Gesundheit (BAG) agiert ohnehin nach Belieben. Schon vor fast zehn Jahren verkündete dieses auf seiner Webseite, es müssten „neue Modelle erarbeitet und entwickelt werden“ für „wirkungsvolle Maßnahmen zu Prävention, Früherkennung und Gesundheitsförderung“ von Krankheiten. Sprich: Das BAG will nicht heilen, es will erziehen.

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Und so reihten sich im Lauf der Zeit Kampagnen aneinander gegen Bewegungsmangel, Zucker, Fett und Alkohol. Eine kleine Kunstpause gab es nur in der Coronazeit, als das Bundesamt vollauf mit dem Virus beschäftigt war. Die unterschwellig vermittelte Botschaft war stets dieselbe: Der Bürger hat keine Ahnung davon, was gut und was schlecht ist für ihn, man muss es ihm mitteilen und ihn lenken.

Für solche Offensiven braucht die Verwaltung keineswegs einen harten politischen Entscheid einer gewählten Mehrheit. Sie betreibt sie längst proaktiv im Zuge dessen, was sie in freier Interpretation als ihre Aufgabe betrachtet. Die Schweizer sind schon heute fest in den Händen von Gesundheitsaposteln und finanzieren diese mit Steuern auch gleich selbst.

Neue WHO-Richtlinien wären beim Bundesamt für Gesundheit sicherlich sehr willkommen als zusätzliches Argument für ihre Präventionskampagnen. Benötigen tun sie die Lustkiller in der Bundesverwaltung aber nicht. Denn ihr Kurs ist längst gesetzt: Wenn etwas gut schmeckt oder gar Spaß macht – Hände weg!

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