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US-Wahlkampf

Wer führt die „Nation unter Gott“ die nächsten vier Jahre an?

Legt in Deutschland ein gewählter Politiker seinen Amtseid ab, wird mittlerweile kontrovers darüber diskutiert, ob der Zusatz der Gottesformel („So wahr mir Gott helfe“) noch zeitgemäß erscheint. Die Hälfte der amtierenden Bundesminister sowie der Bundeskanzler verzichteten auf den Gottesbezug. Die Mitglieder der Bundesregierung bildeten damit schon bei ihrer Amtseinführung den steigenden Grad der Säkularisierung in der Gesellschaft ab.

Im Gegensatz zu Deutschland gebrauchen Politiker in den Vereinigten Staaten von Amerika schon nahezu inflationär den Namen des Herrn. Kaum eine Rede, die nicht mit den Worten „Gott segne die USA “ beendet wird. Die USA sind schließlich eine „Nation unter Gott“, wie es in ihrem Treuegelöbnis heißt, mit dem in öffentlichen Schulen zumeist der Unterricht begonnen wird und das Teil vieler öffentlicher Veranstaltungen ist.

Religiöse Gruppen spielen weiterhin eine bedeutende Rolle im Meinungsbildungsprozess

Dennoch schreitet auch in den USA der Säkularismus unaufhörlich voran. Identifizierten sich laut dem Pew Research Center im Jahr 1990 noch 85 Prozent aller US-Amerikaner als Christen, liegt dieser Wert aktuell nur noch bei knapp einem Drittel. Die größte christliche Gruppe sind Protestanten mit einem gesellschaftlichen Anteil von 40 Prozent. Ein Fünftel der US-Amerikaner sind Katholiken, zwei Prozent Mormonen und ein Prozent orthodoxe Christen. Andere Weltreligionen machen jeweils weniger als zwei Prozent an der Gesamtbevölkerung aus.

Obschon die Religiosität in der US-amerikanischen Bevölkerung zurückgeht, beurteilt die Mehrheit der US-Amerikaner dies als eine schlechte Entwicklung. Infolgedessen spielen religiöse Gruppen weiterhin eine bedeutende Rolle im Meinungsbildungsprozess der USA. Bei Wahlen tendieren weiße Evangelikale und Katholiken sowie Mormonen zur Republikanischen Partei, afroamerikanische Evangelikale und hispanische Katholiken zur Demokratischen Partei. Juden, Muslime, Atheisten und Agnostiker gehören ebenso zu den Kohorten, welche mehrheitlich für Kandidaten der Demokraten stimmen.

Donald Trump: Messias für Amerikas Evangelikale

Dass ein in dritter Ehe lebender Playboy, der fünf Kinder mit drei verschiedenen Frauen zeugte und mit einer wenig christlichen und bibelfesten Rhetorik auffiel, einmal die Republikanische Partei dominieren sollte, war bis zum Eintritt Donald Trumps in die Politik 2015 eigentlich undenkbar. Doch mit einem Gespür für die politischen Themen der Zeit sowie einem Vizepräsidentschaftskandidaten, der ihm die Tür bei evangelikalen, konservativen Wählern öffnete, schaffte Trump genau dies.

Konservative Christen sollten mit der Wahl Trumps zum 45. US-Präsidenten nicht enttäuscht werden. Als Präsident war Trump nämlich für die erfolgreiche Nominierung von drei Richtern am Obersten Gerichtshof, welche die Verfassung konservativ auslegen, verantwortlich. Ebenso nominierte Trump auch für die unteren Justizebenen primär junge, strenggläubige Richter. Die Judikative wird infolgedessen jahrzehntelang von Trumps Entscheidungen geprägt sein.

Eine direkte Konsequenz aus diesen Nominierungen war die De-facto-Abschaffung von Roe vs. Wade, der bis 2022 geltenden landesweiten liberalen Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Bundesstaaten dürfen seitdem wieder unabhängig über ihre Regelungen zum Lebensschutz entscheiden. Trump nimmt bei diesem ethisch sensiblen Thema einen Art Mittelweg ein, indem er die aktuelle Rechtsprechung verteidigt. Erzkonservative Republikaner streben hingegen eine landesweite Restriktion des Abtreibungsrechts an. Des Weiteren war Trump als Präsident für die Kappung staatlicher Finanzierung von Organisationen, die Abtreibungen vornehmen oder unterstützen, verantwortlich.

Trump gilt als der Israel am freundlichsten gesinnte US-Präsident seit Jahrzehnten

Außerdem galt Trump als der Israel am freundlichsten gesinnte US-Präsident seit Jahrzehnten. Insbesondere für weiße Evangelikale ein bedeutendes Thema. Jerusalem wurde als Hauptstadt Israels anerkannt und die US-Botschaft dorthin verlegt. Darüber hinaus konnte Israel unter Vermittlung der Trump-Administration im Rahmen der Abraham-Verträge mit so vielen muslimischen Staaten seine Beziehungen normalisieren wie noch nie zuvor in der Geschichte.

In Bezug auf seinen eigenen christlichen Glauben wurde Trump einst nach den Auslegungen der Presbyterianischen Kirchen erzogen. Während seiner Präsidentschaft wechselte er jedoch seine Konfession und bezeichnet sich seitdem als „konfessionsloser Christ“ – einer stetig wachsenden Gruppe in den USA. Nach dem gescheiterten Attentat auf ihn am 13. Juli 2024 gab Trump öffentlich kund, dass Gott ihn vor der Ermordung gerettet habe. Ganz Populist und Unternehmer, weiß Trump um die Wirkung seiner Worte bei seinen Stammwählern.

Konvertierter Katholik: Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance

Sollte Trump, immerhin auch schon 78 Jahre alt, gesundheitsbedingt etwas zustoßen, würde ihm bei erfolgreicher Wahl der im Jahr 1984 geborene J. D. Vance nachfolgen. Der Werdegang von Vance gleicht dem Inbegriff des amerikanischen Traums: Aufgewachsen in Armut in einer Arbeiterfamilie, verpflichtete er sich mit 18 Jahren den Marines und diente im Irak. Es folgte ein Abschluss an der Yale Law School und eine Anstellung als Kapitalmanager. Mit dem autobiografischen Bestseller „Hillbilly-Elegie“ machte sich Vance weit über die USA hinaus einen Namen. Vor zwei Jahren wurde Vance, auch durch Trumps Unterstützung, schließlich zum U.S.-Senator für Ohio gewählt.

Präsidentschaftskandidat Donald Trump (l.) mit dem Senator für Ohio J. D. Vance, Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee, Wisconsin, 16.07.2024

Ebenso aufregend gestaltet sich das Glaubensleben des republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten. Wegen der Drogenabhängigkeit der alleinerziehenden Mutter kümmerten sich die Großeltern um Vance und dessen Schwester. Infolgedessen genossen die Kinder eine konservative evangelikale Erziehung. Als Student haderte Vance jedoch mit seinem Glauben, laut eigener Aussage hatte er eine Phase des „ärgerlichen Atheismus“. Zum christlichen Glauben fand er durch die Schriften des Augustinus von Hippo zurück. Seine Konversion zum Katholizismus folgte 2019. Unterstützt wurde Vance dabei von seiner indischstämmigen Ehefrau Usha, einer gläubigen Hinduistin.

 

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Obwohl die Ehepartner unterschiedlichen Weltreligionen angehören, betont das Paar die Bedeutung religiöser Werte für die Erziehung ihrer Kinder. Für Vance, der nach Biden der erst zweite katholische Vizepräsident wäre, ist der katholische Glaube prägend für seine politischen Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund spricht sich Vance für ein Verbot von Pornografie ebenso aus wie von gleichgeschlechtlichen Eheschließungen.

Schwangerschaftsabbrüche lehnt Vance ab, respektiert jedoch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Entscheidungsrückgabe an die einzelnen Bundesstaaten. Ebenso wie Trump erkennt Vance das Urteil des Supreme Court im Fall der Abtreibungspille Mifepriston, deren leichte Verfügbarkeit weiterhin nicht eingeschränkt wird, an.

Joe Biden verzichtet widerwillig

Von einem bewegenden Leben kann auch der im Vergleich zu Vance mehr als doppelt so alte amtierende Präsident Joe Biden berichten. Im Jahr 1973 begann er seine politische Karriere in Washington, D. C., kurz nachdem seine erste Ehefrau Neilia und Tochter Naomi bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Der katholische Glauben stärkte Biden bei diesem Schicksalsschlag ebenso wie bei der Krebsdiagnose seines Sohnes Beau mehr als vier Dekaden später. Beau Biden starb 2015 an den Folgen eines Gehirntumors.

Sein Werdegang hat Biden zu einem empathischen Menschen geformt, der die christliche Nächstenliebe so stark verkörpert wie kaum ein anderer Politiker in Washington D. C. Nach John F. Kennedy ist Biden erst der zweite katholische US-Präsident. Seine ursprünglichen Wiederwahlambitionen musste Biden jedoch wegen fortschreitender Alterserscheinungen, die ihn für die Amtsführung ungeeignet machen, und innerparteilichem Druck aufgeben. 100 Tage vor dem Urnengang steht somit noch nicht fest, welcher Politiker die Demokratische Partei in die Präsidentschaftswahl führen wird. Spätestens am Nominierungsparteitag Mitte August wird die Entscheidung durch die Delegierten, die eigentlich von Biden in den Vorwahlen gewonnen und personell bestimmt wurden, gefällt.

Vizepräsidentin Harris: Schmelztiegel in Person

Nach der gestern bekanntgegebenen Beendigung der Wiederwahlkampagne von Präsident Biden gilt qua Amt und auf Grund einflussreicher Unterstützer Vizepräsidentin Kamala Harris als die Favoritin auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur. Harris repräsentiert den Schmelztiegel USA in Person. Die erste weibliche, afroamerikanische und asiatisch-amerikanische Vizepräsidentin gehört der christlichen Konfession der Baptisten an. Aufgewachsen in Oakland, Kalifornien, besuchte sie schon als Kind afroamerikanische Gottesdienste und sang mit ihrer Schwester Maya im Chor.

Neben einer christlichen genoss Harris auch eine hinduistische Erziehung, stammt ihre Mutter Shyamala Gopalan doch aus Indien. In Sanskrit bedeutet ihr Vorname „Lotus“. Kamala ist ebenso ein anderer Name für die hinduistische Göttin Lakshmi, der Gemahlin des Gottes Vishnu, die für Wohlstand und Reinheit zuständig ist. Verheiratet ist Kamala mit dem Juden Douglas Emhoff.

In ihren politischen Reden bezieht sich die im Jahr 1964 geborene Demokratin, die eine juristische Ausbildung genoss, oftmals auf das Gleichnis des barmherzigen Samariters. Mit diesem Appell zur Nächstenliebe begründet Harris auch ihren Einsatz für Gleichberechtigung und Gleichstellung. Explizit wirbt Vizepräsidentin Harris im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf für die Wahlfreiheit für Frauen in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche. Die Kalifornierin sieht sich zudem als Frontfrau der LGBTQ-Bewegung und nimmt damit einen Gegenpol zum republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten Vance ein.

Aus der Heiligen Schrift ziehen die Kandidaten völlig verschiedene politische Schlüsse

Egal wer am 20. Januar 2025 den Amtseid vor dem U.S.-Kapitol als Präsident und Vizepräsident ablegen wird, die Heilige Schrift wird dabei wie jeher eine zentrale Rolle spielen – denn auf ihr wird der Amtseid abgelegt. Eben eine „Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für jeden“. Die politischen Konsequenzen, welche die Kandidaten aus ihrer eigenen Glaubensgeschichte für ihr politisches Wirken ziehen, werden jedoch zwischen dem republikanischen und dem demokratischen Duo fundamental divergieren.

 

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Tom Vogt
Vor 2 Monate 1 Woche

Renewing Democracy with Kamala Harris & https://uclinks.berkeley.edu

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Andreas Graf
Vor 2 Monate 2 Wochen

Es dürfte bei der US-Wahl eine untergeordnete Rolle spielen, welchen Glauben der jeweilige Kandidat hat. Wer auch immer an der Macht ist. Er ist nur eine Marionette des Deep State. Für die Durchsetzung der Ziele des Deep State ist Trump nicht der Wunschkandidat. Das Hauptproblem dürfte der Dollar sein. Amerika steht vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft und des Finanzsystems, das durch die Entdollarisierung des BRICS-Staatenbündnisses befördert wird, die ihre amerikanischen Schuldanleihen gerade abstoßen. Amerika wird bald eine Hyperinflation haben. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, bedeutet dies: Amerika braucht wieder einen Krieg, um das Problem zu lösen. Meine Einschätzung ist die, dass es also zu einer Wahl gar nicht mehr kommen wird. Es werden Dinge passieren, die für Amerika nicht gut sind, vornehm ausgedrückt. In der Zwischenzeit zu den in der Vergangenheit geführten Kriegen im Irak, Serbien, Libyien, Syrien usw. sind Russland und China erstarkt und haben massiv aufgerüstet. Das ist der Zündfunke zum Dritten Weltkrieg. Das dürfte nicht mehr so einfach sein wie in der Vergangenheit. Wie dem auch sei, der neue Präsident braucht eine Portion Gottvertrauen und daher ableitend viel Selbstvertrauen gegen die Mächte des Bösen, im Inneren wie im Äußeren.

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Tom Vogt
Vor 2 Monate 1 Woche

Renewing Democracy with Kamala Harris & https://uclinks.berkeley.edu

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Andreas Graf
Vor 2 Monate 2 Wochen

Es dürfte bei der US-Wahl eine untergeordnete Rolle spielen, welchen Glauben der jeweilige Kandidat hat. Wer auch immer an der Macht ist. Er ist nur eine Marionette des Deep State. Für die Durchsetzung der Ziele des Deep State ist Trump nicht der Wunschkandidat. Das Hauptproblem dürfte der Dollar sein. Amerika steht vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft und des Finanzsystems, das durch die Entdollarisierung des BRICS-Staatenbündnisses befördert wird, die ihre amerikanischen Schuldanleihen gerade abstoßen. Amerika wird bald eine Hyperinflation haben. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, bedeutet dies: Amerika braucht wieder einen Krieg, um das Problem zu lösen. Meine Einschätzung ist die, dass es also zu einer Wahl gar nicht mehr kommen wird. Es werden Dinge passieren, die für Amerika nicht gut sind, vornehm ausgedrückt. In der Zwischenzeit zu den in der Vergangenheit geführten Kriegen im Irak, Serbien, Libyien, Syrien usw. sind Russland und China erstarkt und haben massiv aufgerüstet. Das ist der Zündfunke zum Dritten Weltkrieg. Das dürfte nicht mehr so einfach sein wie in der Vergangenheit. Wie dem auch sei, der neue Präsident braucht eine Portion Gottvertrauen und daher ableitend viel Selbstvertrauen gegen die Mächte des Bösen, im Inneren wie im Äußeren.