Nichts ist hier OK
Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) verstört aktuell mit einem Werbevideo zu ihrer kostenlosen Verhütungsberatung beim Gynäkologen. Der 17-Sekunden-Clip, davon zwei Sekunden Abspann mit AOK-Logo, triggert in drei Szenen eines morgendlichen Aufwachens nach einer Sex-Nacht zu dritt.
Szene 1: Ein Pärchen Anfang 20. Gründerzeit-Altbau mit Stuck und weißgestrichenen Flügeltüren. Aus dem Arm eines Jungen, blond, volle Lippen, gutaussehend, löst sich ein Mädchen in schwarzer Unterwäsche und offenem langen Haar. Sie steht auf, geht offenbar zur Toilette, blickt verschmitzt und verliebt zurück in die Kamera. Eingeblendet der Satz: „Mit ihr?“
Fließender Übergang zu Szene 2: Er erwacht, richtet sich im Bett auf, reibt sich die Augen. Sein Blick fällt zurück auf das im Erker situierte Lager. Die Überraschung: Dort liegt außen ein weiterer junger Mann, Phänotyp Südländer, krause dunkle Haare, gestylter Bart, Tätowierung auf der Brust, schlummernd. Der Blonde mustert ihn. Einblendung: „Mit ihm?“
Szene 3: Das Mädchen kehrt zurück, eingeblendet die Frage „Mit beiden?“ Es lächelt angesichts der beiden Lover im Bett, die Großaufnahme zeigt sie üppig und verführerisch. Sie wirft sich vergnügt auf ihren Platz neben dem Blonden, der sich wieder hingelegt hat und sie sogleich umarmt. Dessen Kopf wiederum ist an den Südländer gekuschelt, der des Blonden Zärtlichkeit erwidert und ihn an der rechten Schulter fasst. Eine Dreiecksgeschichte, bi, homo, alles kann, nichts muss.
Verwirrung
Der über die Schlussszene gelegte Text verspricht: „#AllesOK. Mit der AOK ist dein Liebesleben safe. Wir bezahlen dir die Verhütungsberatung“, das letzte Substantiv erscheint als Signalwort im Gründruck. Darunter in kleinerer Schrifttype: „Verhütung = Verwirrung? Die AOK bezahlt dir + Partner:in die Beratung beim Gyn.“
Realisiert hat die Kampagne die Hamburger Kreativagentur Wynken Blynken & Nod. Der den Clip untermalende Popsong der Sängerin Elif „Alles OK“ wurde exklusiv für die AOK geschrieben und macht eine dreifache Anspielung – auf das Kürzel der Krankenkasse, den gezeigten promiskuitiven Lebensstil wie um den Beistand der Kasse in allen Gesundheitsfragen:
„Und ich weiß, ja, mit dir wird alles OK
Und ich weiß, ja, mit dir wird alles OK
OK, OK
Mit dir wird alles OK“
Aus derselben Reihe gibt es noch weitere Werbeclips. „Auch vermeintliche Tabuthemen wie Polyamorie, Body Image oder plötzliche Schwangerschaft werden beleuchtet. Die AOK zeigt jungen Menschen, dass sie alle akzeptiert und versteht“, schreibt die Agentur dazu.
Doch nichts ist hier OK. Verwirrung ist das richtige Stichwort. Denn die Werbung bedient gleich mehrere moralische Imperative unserer Zeit: Bisexualität, Diversität, „Verantwortung“ durch Verhütungsmittel und völlige Offenheit gegenüber allen sexuellen Lebensformen. Diese bewusste Loslösung von tradierten kulturellen Maßstäben erinnert an die radikale Umwälzung der Französischen Revolution, die 1789 das „Jahr Eins der Freiheit“ ausrief und das Ziel verfolgte, eine völlig neue Ordnung von Moral, Kultur und Zeitrechnung zu schaffen – mit Zehntagewoche, neuen Maßeinheiten und einer säkularen Ersatzreligion.
Ausdruck einer neuen Ideologie
Ähnlich wirkt auch die AOK-Werbung: als Ausdruck einer neuen Ideologie, die das vermeintlich Alte vollständig hinter sich lassen will. Für viele Menschen ist das heute nicht einmal mehr ein Skandal. Die Darstellung ungeordneter Sexualität wird in Serien und Filmen auf Netflix, Amazon Prime & Co. längst als normal und erstrebenswert präsentiert.
Zu Recht fühlen sich Social-Media-Nutzer, denen der Clip in die Timeline gespült wird, irritiert, sie spüren, dass hier etwas nicht stimmt, dass es gegen die Natur des Menschen geht. Selbstverständlich kann man seine sexuellen Bedürfnisse einfach und primitiv befriedigen, aber gehört nicht auch die Bindung, das Verlangen nach Nähe und Dauerhaftigkeit zur menschlichen Natur? Ungeordnete sexuelle Beziehungen, die nichts mit Liebe zu tun haben, führen häufig zu Verletzungen, Enttäuschungen und emotionaler Leere. Am Ende verliert man den Glauben an eine lebenslange Beziehung – und schließlich auch an die Ehe selbst.
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Denn all diese scheinbar „unverbindlichen“ Begegnungen hinterlassen Spuren. Sie haben nichts mit Liebe zu tun, sondern sind nur gegenseitiges Benutzen – und gerade deshalb entmenschlichend. Wahre Liebe bedeutet, den anderen in seiner ganzen Einmaligkeit und Unvollkommenheit zu bejahen – mit all seinen Stärken und Schwächen, Ecken und Kanten. Wer wirklich liebt, sucht nicht nur Erotik, sondern sagt Ja zum ganzen Menschen, und dieses Ja gilt nicht nur für den Moment, sondern für das ganze Leben.
Gerade darin liegt auch die wahre Freiheit: sich zu öffnen, zu vertrauen und sich ganz hinzugeben, weil man weiß, dass man nicht verlassen oder benutzt wird, sondern angenommen wurde. In diesem Licht betrachtet ist der AOK-Werbeclip letztlich ein Angriff auf die Liebe selbst.
Sexuelle Freiheit schädigt den Menschen und wirkt gesellschaftlich zerstörerisch
Wenn die AOK solche Botschaften bewirbt, zeigt sie sich als Teil eines ideologischen Milieus, das den Menschen auf seine Bedürfnisbefriedigung reduziert – ganz im Sinne sozialistischer oder neomarxistischer Denkmuster, die glauben, den Menschen völlig neu „konstruieren“ zu können. Doch die Geschichte lehrt etwas anderes: Schon die Sowjetunion, die als erster Staat der Welt sexuelle Freiheit propagierte, nahm diese rasch wieder zurück, weil sie gesellschaftlich zerstörerisch wirkte.
Gerade angesichts der demografischen Krise, der hohen Scheidungsraten und der wachsenden Vereinsamung ist es fatal, wenn eine Krankenkasse mit gesellschaftlicher Verantwortung solche Botschaften verbreitet. Denn die AOK ist nicht irgendeine Krankenkasse. Mit etwa 27 Millionen Versicherten ist rund jeder dritte Einwohner in Deutschland Mitglied in einer der elf rechtlich eigenständig organisierten AOK-Gemeinschaften.
Sie ist nicht nur wegen ihrer Größe eine symbolträchtige Krankenkasse, sondern auch, weil sie eine lange Historie aufweist. Gegründet wurden die Ortskrankenkassen 1884 auf Initiative von Reichskanzler Otto von Bismarck. Heute arbeiten mehr als 60.000 Beschäftigte bei der AOK.
Wenn also von dieser riesigen Organisation Kinder als „Risiko“, Verhütung als „Verantwortung“ und ungeordnete Sexualität als „Freiheit“ dargestellt werden, sagt das viel über den Zustand unserer Kultur aus: Wir haben den Blick für die menschliche Natur, für Bindung, Familie und Verantwortung füreinander verloren.
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