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Kolumne „Mild bis rauchig“

Etikettenschwindel

Im Zeitalter der Konsums ist er eine der weniger angenehmen Begleiterscheinungen in der Welt des Handels und des Gewerbes: der Etikettenschwindel. Überall lauert er einem auf, und man muss aufpassen, dass man ihm nicht erliegt. Denn nicht immer ist das drin, was draufsteht, angefangen von offiziell hoffähigen Schwindeleien mit schillernden Begriffen wie „hergestellt nach Originalrezeptur“, „ausgesucht“ oder „traditionell hergestellt“, über „light“, „Fitness“ oder „Bio“. Bis hin zu regelrecht betrügerischen Angeboten südländischer Straßenhändler, deren „Originalflaschen“ nach dem Öffnen statt Chanel No.5 oder Eau de Givenchy grünen oder schwarzen Tee über Hals und Wangen duftbewusster Damen versprühen. 

Auch auf anderen Gebieten ist man nie sicher vor derlei Etikettenschwindeleien. So zum Beispiel auf dem Gebiet der professionellen Partnersuche à la Parship, bei der sich oft genug der vermeintliche Chefarzt mit Villa und Segelboot als arbeitsloser Krankenpfleger entpuppt oder die Modemanagerin in Wirklichkeit beim Textildiscounter an der Kasse sitzt. 

In jedem Fall fühlt man sich zu Recht auf eine besonders unangenehme Weise betrogen, weil man ja nicht nur belogen, sondern mit einer gewissen Selbstverständlichkeit für dumm verkauft wird. Daher ist Vorsicht geboten, wenn es um das Kaufen geht, und es ist eine erhöhte Skepsis nötig, kritisch nachzuprüfen, ob das, was draufsteht, auch drin ist.

Immer mehr Menschen sind unsicher

Wenn es um die Kirche geht, ist es nicht viel anders. Bei ihr möchte man ebenfalls sicher gehen, dass das drin ist, was draufsteht. Und gegenwärtig ist dieses Sicherheitsbedürfnis erhöht, wo mehr und mehr Menschen unsicher werden und sich fragen, ob wirklich in der Kirche noch zu finden ist, was die klassischen Überschriften vermuten lassen. 

Und das nicht erst, nachdem die Medien die Erde systematisch nach Beweisen für die Fehlbarkeit und die Schwächen von Amtsträgern umgraben und sie der Doppelmoral überführen, sondern schon länger dort, wo auch Außenstehende oft genug den Eindruck gewinnen, dass die Kirche sich innerlich von dem verabschiedet hat, was ihr eigentlich wesentlich ist – von der Einheit im Glauben nämlich.

Katholikentage und evangelische Kirchentage werden diesbezüglich verstärkt in den Medien darauf befragt, was sie noch als Religionsgemeinschaft auszeichnet, die sie doch sein wollen oder sollen. Henryk M. Broder, kommt bei seiner Suche nach dem Profil der Kirchen am Ende zu dem Schluss, dass es keine wirklichen Alleinstellungsmerkmale mehr gibt: „Wozu brauchen Sie die Kirche, wenn Sie die grüne Bewegung haben?“ 

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Trost zu spenden sei nicht mehr das Geschäftsmodell der Kirche, sie sei vielmehr ihrer Rationalität erlegen und frage nicht mehr nach dem Sinn des Lebens. Eine erschütternde Feststellung. Erschütternd vor allen deswegen, weil dies tatsächlich eine Feststellung und keine Mutmaßung ist.

Und so stellen viele fest – besonders Menschen, die sich der Kirche in der überkommenen Meinung annähern wollen, sie sei der Hort transzendenter Antworten – dass die Verkündigung des Glaubens in den Gemeinden sehr, sagen wir es einmal höflich,  blass geworden ist. 

Hinzu kommt, dass die Verkündigung heterogene geworden ist. In Kirche A wird oft das Gegenteil von dem gepredigt, was man in Kirche B verkündet. Oder hier werden die Heilige Messe und der Empfang der Sakramente hoch gehalten und dort spielt all das eine eher untergeordnete Rolle und wird durch das ersetzt, was Broder als neue Ersatzreligion verortet: der Klimaglaube mitsamt seinen Hohenpriester*innen wie Greta oder Clara und den gläubigen Massen, die in der Sorge um das Klima bis zur Selbstopferung gehen.

Kirchenzeitungen ähneln formal und inhaltlich grünen Postillen

Kirchenzeitungen ähneln formal und inhaltlich grünen Postillen mit Tipps zum Heizen, Essen, Sprechen und Denken. Das gleiche gilt – wenn ich hier einmal speziell für meine „Firma“ sprechen darf – für den eigentlich bisher erfolgreichen Markennamen „Katholisch“. Nicht überall, wo er draufsteht, ist auch etwas Katholisches drin. Eine schlichte Umfrage unter Schülern, die den katholischen Religionsunterricht besuchen und sich noch nicht von ihm abgemeldet haben, bestätigt dies. Denn die weitaus meisten kommen im Religionsunterricht in der Regel unberührt von den Kerninhalten des katholischen Glaubens an das Ende ihrer Schulkarriere und haben nach dreizehn Schuljahren keinerlei Ahnung, wieso sie sich katholisch und nicht evangelisch nennen.

Bei der christlich-substanziellen Mahnung zur Sorge um die Bedürftigen und Armen ist es ähnlich. Man will wissen, inwieweit Christen ihren Auftrag der Nächstenliebe persönlich ernstnehmen und ihn erfüllen. Und man ist zurecht unangenehm berührt, wenn man feststellt, dass man gerne so etwas wie Mitsorge, Hilfsbereitschaft oder Opferbereitschaft für die Alten und Kranken nicht konkret im alltäglichem Verhalten bei denen findet, die (noch) in die Kirche gehen, sondern die am Rand Stehenden den finanziell und personell gut ausgestatteten Wohlfahrtsverbänden überlassen.

Glaube und Caritas als professionell alimentierte Nächstenliebe ohne einen wirklich lebendigen Gottesbezug, der über einen auch hier angelegten Etikettenschwindel durch Neubefüllung des Begriffs „Gott“ mit „Menschlichkeit“ hinausginge.

Auf dem Gebiet der Frömmigkeit stellt sich die Sache ebenso dar. Misst man diejenigen, die sich katholisch nennen an ihrer Konsequenz in Sachen Gebet und Gottesdienstpraxis, wird man zurecht skeptisch, wenn Christen, die doch die Leitkulturvertreter in unserer Gesellschaft sein wollen, den Gang zum Gottesdienst weitestgehend den Muslimen überlassen.

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Eine Bestandsaufnahme, die besonders an Tagen wie dem vergangenen Sonntag auffällt, wo die Christen Pfingsten gefeiert haben. Denn was feierten sie da eigentlich? Bislang hieß es, an Pfingsten begehe man den „Geburtstag der Kirche“. Dort sei der Gottesgeist in die Apostel gefahren und habe sie zur Verkündung des eigentlich Unsagbaren in aller Welt befähigt und motiviert. Infolgedessen sei das Projekt Weltmission erfolgreich gewesen und der Glaube an einen persönlichen Gott und Seinen menschgewordenen Sohn als der lebendige Weg zum Notausgang aus der Welt der Schatten von Herz zu Herz unter den Menschen ausgebreitet worden.

Heute stellt man sich indes die berechtigte Frage, inwieweit das Leben der Christen und der christlichen Gemeinden diesen Geburtstag noch feiernswert macht angesichts der Tatsache, dass man die Glaubenssätze in säkulare Formeln der diversen innerweltlichen Überlebensstrategien ausgetauscht hat. Infolgedessen wollen ohnehin die wenigsten überhaupt noch eine Kirche haben, weil die säkulare grüne Diversitäts- und Klimareligion mit ihren Umwelt- und Woke-Aktivismen dasjenige in Reinkultur vermitteln, was der postreligiöse Gemischtwarenladen mit seinen etikettenschwindlerischen oder gleich ganz umetikettierten Angebotspaletten nur plagiiert feilbietet. 

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Ob sich by the way auf diesem Hintergrund noch ein staatlich gewährter Feiertag wie der Pfingstmontag rechtfertigen lässt, ist eine gute Frage. Denn auch, wenn die mehrheitlich fernstehenden Menschen in unserer Gesellschaft den Kirchen diesen Feiertag nicht bestreiten, weil sie ihn ja schließlich gerne mit Grillen und Zelten genießen: Die Botschaft, die diesen Pfingstfeiertag einst rechtfertigt hat, hält heute der Überprüfung ihrer Mehrheitsfähigkeit nicht stand – ebenso wenig wie die Befragung auf die Authentizität derer, die sie eigentlich leben müssen, wenn sie von sich sagen: Ich bin Christ.

Und am Ende bleibt die Frage offen, was die Kirche unserer Tage aus sich gemacht hat. Offen deswegen, weil das beschriebene Phänomen eines schleichenden Etikettenschwindels ein auffällig singuläres Phänomen der deutschen und deutschsprachigen Kirchensteuerkirche – und damit kein globales christliches Problem ist. International sieht die Sache nämlich anders aus. 

Denn da sind die überkommenen Inhalte des Glaubens größtenteils unstrittig, die Glaubenspraxis klassisch und die Frömmigkeit unverdorben. Man kann sogar von einer feststellbaren neuen Aufwärtsbewegung unter den Zwanzig- bis Dreißigjährigen sprechen, die zwar keine Massenbewegung ist, aber ein spürbarer Trend, an jenen Orten den Glauben an Jesus Christus zu ergreifen, wo die Kirche sich unverwässert und authentisch aufstellt. 

„Unter jungen Menschen gibt es ein größeres Interesse an Kirche und Glauben“

Der Primas der Niederlande, Kardinal Willem Jacobus Eijk, Erzbischof von Utrecht, hat dies kürzlich in einem Interview treffend beschrieben und dabei unter anderem den frisch gewählten Papst Leo XIV. als Hoffnungsträger einer neuen Ehrlichkeit ins Feld geführt, was den Kern der Botschaft des katholischen Glaubens und seine Mission betrifft. Darin drückte er die Hoffnung aus, 

„dass dieser Papst in verschiedenen Bereichen viel bewirken kann, beispielsweise in der Bioethik, in Fragen der Ehemoral, der Sexualmoral und sogar der Sozialmoral. Dies sind Themen, über die in der Kirche Uneinigkeit herrscht, das können wir nicht leugnen. Und interne Zwietracht ist für keine Organisation gut, auch nicht für die Kirche. Daher ist die Wiederherstellung der Einheit wirklich ein wichtiges Anliegen.“

Und auf die Glaubenskrise und den Rückgang der Gläubigenzahlen angesprochen, sagte er: 

„Der Rückgang der alten Volkskirche setzt sich fort: Die ältere Generation der Gläubigen stirbt aus. Die Generation darunter ist in der Kirche kaum vertreten. Unter jungen Menschen hingegen gibt es, insbesondere in den Städten, ein größeres Interesse an Kirche und Glauben. [...] In den meisten Pfarreien sehen wir eine steigende Zahl junger Menschen zwischen 20 und 45 Jahren, die sich der Kirche anschließen – vor allem in den Städten. Sie haben ihren Weg zur Kirche oft über das Internet und katholische Influencer in den sozialen Medien gefunden. Dieses Wachstum ist auch in anderen westeuropäischen Ländern sichtbar, wo viele junge Menschen der römisch-katholischen Kirche beitreten, insbesondere in Frankreich und England. Diese Menschen sind oft aufgeschlossen und unvoreingenommen gegenüber Kirche und Glauben.“ 

Diese Entwicklung zu einem gesteigerten Interesse an der unverwässerten und unveränderlichen Botschaft von einem transzendenten, personalen Gott ist indes mehr Motivation als Beruhigung. Denn sie zeigt, wie nötig es ist, zu einer authentischen Kirche zurückzukehren, die verlässlich das beinhaltet, was als Etikett an ihr klebt und die die alten und immer neuen Rezepte der Mission berücksichtigt, die schon am ersten Pfingsten in Jerusalem gefruchtet haben.

Es geht um „Gottes große Taten“ und nicht um die Bestätigung dessen, was die Mehrheit ihrer Zuhörer will

Denn da sehen wir die Apostel nicht in Diskussionen verstrickt, sondern zum Gebet versammelt. Der Heilige Geist, der sie am Pfingsttag erfüllt, trifft sie genau so an: beim Beten. Und weil Gottes Geist sie beim Beten vorfindet und nicht beim Reden oder Planen, ist ihr Herz offen für Ihn, und Er kann sie erfolgreich mit der Kraft erfüllen, die nötig ist zum Sagen des Unsagbaren und Göttlichen. 

In der Haltung der Erwartung und des Glaubens kann Er in die Apostel die Gnade eingießen, die sie brauchen, um die Herzen der Menschen zu treffen und ihnen die Botschaft von der Erlösung verständlich zu machen. Es wird sich später zeigen, dass die Mission, zu der die Apostel beim Pfingstwunder ihr Starterpaket erhalten, funktioniert, und zwar obwohl – oder besser: gerade weil sie sich nicht anbiedern, sondern in Eindeutigkeit und in Unzweifelhaftigkeit verkünden, dass es sich um „Gottes große Taten“ handelt, wie es in der Apostelgeschichte heißt, und nicht um die Bestätigung dessen, was die Mehrheit ihrer Zuhörer will.

Wenn also der Klimawandel in der Kirche unserer Tage eine Rolle spielt, dann in erster Linie da, wo sich das Klima des Redens und Bestreitens, des Leugnens und Besserwissens, des Provozierens und Vergessens in ein Klima des Schweigens und Hörens, des Glaubens und des Vertrauens wandelt. Damit Gottes Heiliger Geist wirken kann und die Berufenen Seine Zeugen sind und nicht die Zeugen ihrer Befindlichkeiten. 

Und damit das Feuer des Gottesgeistes die Welt läutert von den vielen kurzlebigen Meinungen, die sie auf eine besonders nachhaltige Art aufheizen. Damit sie nicht eines Tages womöglich an sich selbst verbrennt.

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