Das Problem an der Abtreibungsdebatte ist das fehlende Wissen

Philip Hopf und Kiarash Hossainpour sind Moderatoren des Podcast „Hoss & Hopf“. Der deutsche YouTube-Kanal hat 435.000 Abonnenten. Nach eigener Aussage nehmen Hopf und Hossainpour kein Blatt vor den Mund – und packen auch „heiße Eisen“ an. Ein solches heißes Eisen ist das kontroverse Thema Abtreibung, über das viel Falsch- und Desinformation kursiert.
Das ist mutig und lobenswert, da Abtreibungen weltweit die Todesursache Nummer 1 sind – noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jährlich werden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ungefähr 73 Millionen Kinder abgetrieben. Die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird auf knapp 22 Millionen weltweit geschätzt. Abtreibung als ein Problem zu leugnen, wäre schon um der Erhaltung der Bevölkerung willen absurd. Folgerichtig wird auch im Podcast „Hoss & Hopf“ Abtreibung als Problem und Teil des demografischen Wandels genannt.
So löblich es ist, dass die Moderatoren über das Thema Abtreibung informieren und relevante Fakten nennen, so darf nicht ignoriert werden, dass ihnen in der Argumentation einige Fehler unterlaufen sind. Corrigenda hat einige Punkte aus dem Video herausgegriffen und untersucht.
Verhütung und Legalisierung von Abtreibung
Hopf und Hossainpour erklären die hohe Zahl der Abtreibungen von allein in Deutschland jährlich über 100.000 damit, dass die meisten Paare wortwörtlich schlicht „zu dumm seien“, um richtig zu verhüten. Dabei lassen sie aber außer Acht, dass Frauen trotz korrekt angewendeter Verhütung schwanger werden können – wie übrigens auch eine Frau in den YouTube-Kommentaren anmerkt. Sie selbst sei zweimal ungewollt schwanger geworden und das trotz der richtigen Verhütung.
Dies ist kein Einzelfall. Bei Kontrazeptiva wird im Beipackzettel im sogenannten Pearl-Index angegeben, wie viele Frauen von 1.000 trotz korrekter Pilleneinnahme schwanger werden. Je nach Präparat liegt der Pearl-Index bei 0,1 bis 0,9. Dies bedeutet, dass eine bis neun Frauen von 1.000 schwanger werden.
Für Hopf und Kiarash ist klar: Da, wo es wenig Verhütungsmöglichkeiten gibt, da gibt es auch mehr Abtreibungen. Als Beispiel führen sie das sozialistische Kuba und Russland an. Dass die Zahl der Abtreibungen während der Zeit der Sowjetunion sehr hoch war und auch heute noch ist, ist korrekt.
Dies ist jedoch auf eine andere Mentalität zurückzuführen, die Abtreibung als ein Mittel der Geburtenkontrolle oder nachträgliche Verhütungsmethode sieht und eng mit den kommunistischen Einflüssen verknüpft ist. In Russland wurden Abtreibungen bereits 1920 legalisiert, 1936 verboten, 1954 entkriminalisiert und 1955 wiederholt legalisiert. Abtreibungen werden in Russland weithin akzeptiert und Frauen treiben nicht selten mehrmals ab. Zudem sind sie – abgesehen von der Anästhesie – gratis, was die Hemmschwelle weiter senken dürfte.
Ein Blick auf die Verhütungsraten des Jahres 2023 zeigt zudem, dass die Zahl der Abtreibungen mit der Verwendung von Verhütungsmitteln nicht korreliert. Die Abtreibungszahlen sind beispielsweise in Frankreich deutlich höher als in Deutschland, obwohl der Zugang zu Verhütungsmitteln in beiden Ländern unproblematisch ist. Kondome werden in Frankreich an 18- bis 26-Jährige seit 2023 in Apotheken sogar kostenlos ausgegeben.
Eine Legalisierung ruft im Volk zwangsläufig eine Änderung der Mentalität hervor, weshalb die Gesetzgebung eines Staates für die Meinungsbildung einen hohen Stellenwert hat. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
Hossainpour ist der Meinung: Das Verbieten von Abtreibungen ist nicht der richtige Weg. Doch wenn es um das Töten eines Menschen geht, sind Gesetze nötig. Oder sind das Embryonenschutzgesetz und Regeln, die Mord unter Strafe stellen, etwa unnötig? Auch hier geht es letztlich nur um die Kernfrage, ob es sich bei dem Baby im Mutterleib um einen Menschen handelt oder nicht und ob das Töten moralisch verwerflich ist oder nicht.
Die Freiheit der Frau oder das Lebensrecht des Kindes?
Beide Moderatoren bezeichnen sich selbst als libertär und sprechen sich grundsätzlich gegen gesetzlichen Druck aus. Staatlichen Zwang wie Masken und Impfung bei der Covid-19-Pandemie lehnen sie ab. Sie sind der Meinung: Eine Frau muss selbst entscheiden können, ob sie ihr Baby zur Welt bringt oder nicht. Houssainpour argumentiert:
„Ich bin da eher libertär, Pro-Choice. Es ist ihr Körper und es ist ihr Leben und die Verantwortung, die sie am Ende in ihrem Leben trägt. Und ich sehe da keinen Grund dafür, warum der Staat mit rechtlichem Druck oder mit Verboten in diese Freiheit, in diese Wahl der Frau eingreifen sollte. (...)
Es gibt ja immer dieses Gegenargument, dass der Fötus ein Mensch ist und dass man einen Menschen nicht töten darf. Aber selbst wenn der Fötus eine Person wäre, warum hätte dann der Staat das Recht in dem Fall, in dem es verboten wäre, abzutreiben, quasi den Körper einer anderen Person gegen deren Willen zu nutzen? Also, warum ist das Recht von dem Fötus als Lebewesen größer als das Recht der Frau, die den Fötus in sich trägt, als bereits existierender und lebender Mensch? Das macht für mich keinen Sinn.“
Die Argumentation greift leider zu kurz. Denn bei der Frage, ob Abtreibung durch Gesetze erlaubt oder verboten werden soll, geht es um zwei Menschenleben und nicht nur um irgendwelche lästigen staatlichen Gängelungen oder äußere Einschränkungen. Es geht um die Frau und ihr Kind, nicht um ein „Etwas“, das sie in sich trägt. Der Vergleich mit den Corona-Maßnahmen hinkt.
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Wenn man anerkennt, dass es sich um zwei Menschen handelt, dann stellt sich stattdessen die Frage: Warum sollte die Frau über das Leben ihres Kindes entscheiden? Nur weil sie älter ist? Im Umkehrschluss hieße das, dass die Freiheit der Mutter – wohlgemerkt Freiheit, es geht nicht einmal um das Lebensrecht – über dem Lebensrecht des Kindes steht.
Wenn sich die Frau gegen das Leben des Kindes entscheidet, dann ist es mit den Worten Johannes Pauls II. die „Freiheit des Stärkeren“, die sich gegen das Recht des Schwächeren durchsetzt.
Außerdem gilt wie erwähnt, dass die Frau trotz Verhütung eine Schwangerschaft nie komplett ausschließen kann, wenn sie sexuell aktiv ist. Sie hat die Wahl, mit einem Mann intim zu werden oder nicht. Freiheit und Verantwortung gehören untrennbar zusammen.
Die Gründe für Abtreibungen
In dem Podcast erwähnt insbesondere Hossainpour, die Hauptgründe für Abtreibungen seien finanzieller und wirtschaftlicher Art. Sein Kollege Philip Hopf schwächt dies mit dem berechtigten Einwand ab, dass Frauen auch in sehr schwierigen Zeiten, wie etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, viele Kinder bekamen.
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Die Erfahrung aus über 15 Jahren Schwangerschaftskonfliktberatung und inzwischen über 100.000 beratenden Frauen jährlich von Profemina zeigt jedoch, dass die Hauptursachen für einen Schwangerschaftskonflikt in biographischen Gründen, in Konflikten mit dem Partner oder dem Gefühl der Überforderung zu suchen sind. Finanzielle Gründe spielen eine untergeordnete Rolle, wie ein Blick in den Schwangerschaftskonfliktreport verrät. Diese drei Hauptgründe stehen seit Jahren an der Spitze und wechseln sich nur in der Reihenfolge ab.
Abtreibung und Demografie
Der italienische Statistiker Robert Volpi bestätigt wie andere hellsichtige Demografen zudem, dass der Geburtenrückgang in Europa nicht auf eine schlechte subjektive wirtschaftliche Lage zurückzuführen ist, sondern auf einen tiefgreifenden Mentalitätswechsel innerhalb der Bevölkerung.
Bemerkenswert positiv ist, dass sich die Moderatoren für mehr Hilfe für schwangere Frauen in Not aussprechen. Frauen müssten unterstützt werden, um in Freiheit Ja zu ihrem Kind sagen zu können, wenn sie es möchten. Dabei geht insbesondere Hopf auf den demografischen Niedergang ein:
„Wir sprechen ja hier davon, dass die Kinderquoten gerade in Westeuropa dramatisch tief sind, unter dem Punkt, dass wir uns als Gesellschaften selber erhalten können. (...) Und dann spricht man hier trotzdem immer noch über Abtreibung! Also wir wissen eigentlich, dass wir als Völker der jeweiligen Länder bald nicht mehr da sein werden oder sehr viel weniger, und gleichzeitig treiben wir pro Jahr in Deutschland eine mittelgroße Stadt ab.“
Verkauft Planned Parenthood Körperteile von abgetriebenen Babys?
Hopf erwähnt erfreulicherweise auch den Abtreibungskonzern Planned Parenthood und liefert einige interessante Informationen zu seiner Finanzierung und der Verbindung zu anderen Organisationen.
Er erwähnt auch ein Video aus dem Jahr 2015, das für Furore gesorgt hatte, weil Planned-Parenthood-Mitarbeiter heimlich gefilmt wurden, wie sie amüsiert darüber sprechen, wie sie nach Organen suchten. Hossainpour weist darauf hin, dass mehrere „Künstliche Intelligenzen“ ihm die Antwort gegeben hätten, das Video sei verfälscht und durch willkürliches Schneiden manipuliert worden.
„Die Verschwörung, dass es einen Organhandel mit Föten gibt, stimmt nicht. Die Videos wurden manipuliert. Es gab zwölf US-Bundesstaaten, die dort untersucht haben. Alle sind zu dem Entschluss gekommen, dass das Ganze nicht stimmt und dass da nichts Illegales passiert. (...) Die Videos wurden stark und irreführend geschnitten. (…)
Planned Parenthood kriegt in den USA ja auch staatliche Mittel. Das, was die machen, ist Forschung anhand von gespendeten Föten, aber nicht irgendwie Organhandel. So etwas würde direkt auffliegen und da gäbe es dann etliche Beweise für, meiner Meinung nach.“
Das, was die Planned-Parenthood-Mitarbeiter äußerten, ist – selbst wenn der Mitschnitt gekürzt war –auf jeden Fall inhaltsschwer. Abgesehen davon war das erwähnte Video nicht die einzige Enthüllung. Es existieren weitere Undercover-Mitschnitte, in denen Planned-Parenthood-Mitarbeiter über Organpreise von Kindern sprechen. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr eine Reihe von Videos aus dem Jahr 2015, für die die betreffenden Lebensschützer zwar vom linksregierten Staat Kalifornien angeklagt, aber nie rechtskräftig verurteilt worden sind. Im Gegenteil ließ der Bundestaat Anfang 2025 alle Anklagen fallen.
Zudem zeigt ein anderer Fall: Planned Parenthood verkauft Teile abgetriebener Babys an die Universität von Kalifornien in San Diego, die mit diesen Körperteilen forscht. Planned Parenthood erhält Eigentumsrechte an den Patenten und dem geistigen Eigentum der Universität. Und dass es gerade beim Thema Abtreibung nicht die großen Enthüllungen gibt, resultiert eher daraus, dass die meisten Journalisten schlicht kein Interesse daran haben. Ein medienkritsicher YouTuber wie Hossainpour sollte das eigentlich wissen.
Trotzdem ein wachrüttelnder Beitrag
Es wäre besser gewesen, wenn sich Philip Hopf und Kiarash Hossainpour tiefgründiger über Planned Parenthood und den Dachverband International Planned Parenthood Federation (IPPF) informiert hätten, statt einer in diesem Punkt fehlerhaft gespeisten KI zu vertrauen.
Auch eine gründlichere Auseinandersetzung mit den Gründen eines Schwangerschaftskonflikts wäre wünschenswert gewesen. Wie erwähnt, spielen Konflikte in der Partnerschaft eine große Rolle. Ist eine Beziehung gesund, dann werden auch die Herausforderungen einer – wenn auch ungeplanten – Schwangerschaft viel eher gemeistert.
Trotz Abstrichen ist es „Hoss & Hopf“ anzurechnen, dass sie das heiße Eisen Abtreibung ausgewogener angefasst haben, als man es etwa von den zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien gewöhnt ist. Das Video zeigt aber auch: Viele Halb- und Unwahrheiten beherrschen den Abtreibungsdiskurs, was einer gesellschaftlichen Verschiebung hin zu einer Kultur des Lebens im Weg steht.
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